Étienne GilsonÉtienne Henry Gilson (* 13. Juni 1884 in Paris; † 19. September 1978 in Auxerre, Département Yonne) war ein französischer Philosophiehistoriker und christlicher Philosoph. Er gilt als einer der führenden Erforscher der europäischen Philosophie des Mittelalters. Der Neuthomist lehrte u. a. an der École pratique des hautes études, der Sorbonne, dem Collège de France, der Harvard University und der University of Toronto. HerkunftÉtienne Henri Gilson wird als drittes von fünf Kindern geboren. Seine Eltern waren die Eheleute Paul Anthelme Gilson (geb. 1838 in Melun, Département Seine-et-Marne) und Caroline Juliette Rainaud (geb. 1851 in Cravant, Département Yonne) den 13. Juni 1884 in Paris, arrondissement du Palais Bourbon (Nr. 7). Sein Vater war dort Strumpfwarenhändler (marchand bonnetier). LebenNach der Grundschule Sainte-Clotilde der Laienbruderschaft der Brüder der christlichen Schulen (Lasallianer) besuchte Gilson von 1895 bis 1902 das „Kleine Seminar“ von Notre-Dame-des-Champs im 6. Arrondissement. Dort erhielt er Unterricht in klassischen, rhetorischen, literarischen, musischen und religiösen Studien. Danach besuchte er für ein Jahr die Philosophieklasse des Lycée Henri IV und parallel dazu Vorlesungen von Henri Bergson am Collège de France. Bergson bedeutete für Gilson „eine Offenbarung. Zum ersten Mal begegnete er einem großen Metaphysiker“.[1] 1903 legte er das Baccalauréat mit geisteswissenschaftlichem Profil ab.[2] Nach Ableistung des obligaten Militärdienstes bei einer Infanterieeinheit in der Normandie, nahm Gilson 1904 ein ordentliches Studium der Philosophie an der Universität von Paris (Sorbonne) auf. Seine Lehrer waren Lucien Lévy-Bruhl (1857–1939), Émile Durkheim (1858–1917), Frédéric Rauh (1861–1909), Victor Delbos (1862–1916), Léon Brunschvicg (1869–1944) und Marcel Mauss (1872–1950). Noch im ersten Studienjahr an der Universität bestand er die Licence, 1906 schloss er das Studium mit dem Diplôme d’études supérieures ab. Seine Abschlussarbeit über Descartes und die Scholastik wurde von Lucien Lévy-Bruhl betreut, ebenso seine Qualifikationsschrift für die Agrégation (Lehrbefugnis für höhere Schulen) in Philosophie, die er 1907 erhielt. Anschließend lehrte er jeweils für ein bis zwei Jahre an Lycées in Bourg-en-Bresse, Rochefort-sur-Mer, Tours, Saint-Quentin und Angers. Mit einer Arbeit über die Cartesianische Lehre von der Freiheit und der Theologie erlangte Gilson 1913 das doctorat d’Etat.[2] Gilson war 1913/1914 Maître de conférences (Dozent) für Philosophie an der Universität Lille. Nach Kriegsteilnahme und Gefangenschaft wurde er 1919 als Professor für Geschichte der Philosophie an die Universität Straßburg berufen. Als Nachfolger des verstorbenen François Picavet wurde Gilson 1921 zum directeur d'études für Doktrinen- und Dogmengeschichte an der religionswissenschaftlichen Sektion der École pratique des hautes études ernannt. Parallel vertrat er den durch Picavets Tod vakanten Lehrstuhl für Philosophiegeschichte des Mittelalters an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Sorbonne, bevor er 1927 selbst zum ordentlichen Professor ernannt wurde.[2] Für eine Gastprofessur an der University of Virginia reiste Gilson 1926 erstmals in die USA. Von 1927 bis 1930 hatte er eine Professur an der Harvard University, wo er jeweils für mehrere Monate pro Jahr lehrte. Ab 1929 war er wissenschaftlicher Direktor des neugegründeten Pontifical Institute of Mediaeval Studies an der University of Toronto, wo er bis 1939 und wieder ab 1946 jeweils drei Monate im Jahr unterrichtete. Ab 1932 war er Professor am Collège de France in Paris, wo er bis 1951 den Lehrstuhl für Philosophiegeschichte des Mittelalters bekleidete. Den Lehrstuhl an der Sorbonne gab er dafür auf, blieb ihr aber als Honorarprofessor verbunden.[2] Gilson wurde 1927 in die British Academy[3] und 1929 in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Die Königlich Niederländische Akademie der Wissenschaften (KNAW) nahm ihn 1936 als auswärtiges Mitglied auf.[4] Seit 1946 war er Mitglied der Académie française und seit 1948 der American Philosophical Society.[5] Die Königliche Akademie der Wissenschaften und Schönen Künste von Belgien nahm ihn 1958 als assoziiertes Mitglied auf.[6] Den Begriff Scholastik lehnte Gilson als Überschrift für die mittelalterliche Philosophie ab, da diese wegen ihrer Vielfalt unter keiner inhaltlichen Klammer zu fassen sei. Die einzige Gemeinsamkeit erkannte er in ihrer Rückgebundenheit an die Offenbarung (das heißt Erkenntnis über die natürliche Vernunft hinaus durch Mitteilung Gottes in Bibel und Tradition) und bezeichnete sie daher als „Christliche Philosophie“. Die Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte war dabei schon Philosophie, da diese Auseinandersetzung das eigene Denken schon immer mit einbezieht und zumindest ein Urteil versucht. Sein neben dem historischen auch systematisches Interesse an der Philosophie erkennt man besonders in L’esprit de la philosophie mèdiévale. Gilson gehört zu den bekanntesten Vertretern des Neuthomismus, der vom philosophischen Ansatzpunkt des Thomas von Aquin her die modernen Fragestellungen zu beantworten bzw. die modernen Antworten zurückzuweisen suchte. Schriften (Auswahl)
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
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