AlidenDie Aliden (arabisch علويون, DMG ʿAlawīyūn) sind die Nachkommen von ʿAlī ibn Abī Tālib, einem Cousin und Schwiegersohn des Religionsstifters Mohammed. Einige von ihnen werden bei den Schiiten als Imame verehrt. Allerdings hatten und haben nicht alle Aliden eine schiitische Ausrichtung. Einige haben sich auch als Gelehrte in sunnitischen Rechtsschulen betätigt.[1] Die Aliden unternahmen während der Umayyaden- und der frühen Abbasidenzeit mehrere Aufstände. Die hasanidischen und husainidischen Aliden bilden als Nachkommen des Propheten eine Art religiösen Erbadel in den muslimischen Gesellschaften. Auch verschiedene islamische Dynastien nahmen bzw. nehmen für sich eine alidische Abkunft in Anspruch. Die Aliden sind nicht mit den Alawiten oder Aleviten, zwei modernen religiösen Sondergemeinschaften Vorderasiens, zu verwechseln, die auf Arabisch ebenfalls als ʿAlawīyūn bezeichnet werden. Ihr Name bezieht sich zwar gleichfalls auf ʿAlī ibn Abī Tālib, doch werden diese Gemeinschaften nicht durch eine genealogische Abkunft von ihm begründet. Die „Aliden“ und andere AbstammungsgruppenDer Genealoge Abū Nasr al-Buchārī erklärte im 10. Jahrhundert das Verhältnis der verschiedenen genealogischen Gruppenbezeichnungen in der folgenden Weise:
Die Aliden sind also eine Gruppe innerhalb der sogenannten Tālibiden (Ṭālibīyūn), der Nachkommen von ʿAlīs Vater Abū Tālib ibn ʿAbd al-Muttalib. Zu den Tālibiden gehören neben den Aliden auch die Nachkommen von ʿAlīs Brüdern ʿAqīl und Dschaʿfar. Da Abū Tālib ein Enkel von Hāschim ibn ʿAbd Manāf war, gehörten die Aliden wie die Abbasiden, mit denen sie im 8. und 9. Jahrhundert um die Macht rivalisierten, zu den Banū Hāschim oder Hāschimiden. Die Banū Hāschim waren wiederum ein Clan der Quraisch, und die Quraisch ein Stamm innerhalb der Araber. Eine Untergruppe der Aliden stellen diejenigen Nachkommen dar, die aus seiner Ehe mit Mohammeds Tochter Fatima hervorgegangen sind. Sie werden in den arabischen Quellen im Gegensatz zu den anderen Aliden als Fātimiden (Fāṭimīyūn) bezeichnet und haben insofern eine Vorzugsstellung, weil sie nicht nur Nachkommen ʿAlīs, sondern auch Nachkommen Mohammeds sind. Auch die Herrscher der gleichnamigen Dynastie nahmen in Anspruch, zu dieser Gruppe zu gehören. Die Nachkommen Alis und Fatimas werden wiederum nach den Namen ihrer beiden Söhne in Hasaniden (nach al-Hasan ibn ʿAlī) und Husainiden (nach al-Husain ibn ʿAlī, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen, aber nicht-alidischen Regionaldynastie Tunesiens) unterteilt. ʿAlīs Frauen und ihre KinderʿAlī hatte 14 Söhne und mindestens 17 Töchter.[3] Nachfolgend eine Aufstellung seiner Kinder, geordnet nach ihren Müttern(Sklavinnen sind mit einem * gekennzeichnet):
Nur fünf von ʿAlīs Söhnen hinterließen Nachkommen, nämlich al-Hasan, al-Husain, Muhammad ibn al-Hanafīya, ʿUmar und ʿAbbās.[3] Muhammad ibn al-Hanafīyahatte einen Sohn namens Abū Hāschim. Die Nachkommen von al-Hasan, die Hasaniden, waren überaus zahlreich, weil er sehr viele Ehen einging. Die Nachkommen al-Husains, die Husainiden, haben deshalb eine besonders große Bedeutung, weil ihr die Imame der Zwölfer-Schia entstammen. GeschichteDie Aliden während der UmayyadenzeitAliden spielten eine wichtige politische Rolle während der Umayyadenzeit. So unternahm ʿAlīs Sohn al-Husain 680 einen Aufstand gegen den umaiyadischen Kalifen Yazid I. Fünf Jahre später erhob sich al-Muchtār ibn Abī ʿUbaid im Namen von ʿAlīs Sohn Muhammad ibn al-Hanafīya. Dieser wurde zum Mahdī ausgerufen, dem messianischen Erlöser-Imam, ein Konzept, das bei den Mawālī großen Anklang fand.[9] Der umaiyadische Kalif ʿUmar ibn ʿAbd al-ʿAzīz (reg. 717–720) bemühte sich um ein besseres Verhältnis zu den fatimidischen Aliden und ließ durch seinen Statthalter in Medina 10.000 Dinar unter ihnen verteilen.[10] Zusammen mit den Abbasiden, die wie sie zu den Banū Hāschim gehörten, beteiligten sich verschiedene Aliden ab den 720er Jahren an der „hāschimitischen Daʿwa“ (daʿwa Hāšimiyya), einer Untergrundbewegung, die im Namen des „desjenigen aus dem Hause Mohammeds, der Zustimmung findet“ (ar-riḍā min āl Muḥammad) auf den Sturz der Umayyaden hinarbeitete. Nachdem die Aufstände des Husainiden Zaid ibn Ali im Jahre 740 und seines Sohnes Yahya 743 niedergeschlagen worden waren, schmiedete 744 der Hasanide ʿAbdallāh ibn Hasan, der zu dieser Zeit das Oberhaupt der Aliden war, Pläne zur Übernahme der Herrschaft im islamischen Reich. Schließlich brachte die daʿwa Hāšimiyya nach dem Aufstand von Abu Muslim 749 aber doch die Abbasiden an die Macht.[11] Die beiden husainidischen Aliden Muhammad al-Bāqir (gest. 732) und sein Sohn Dschaʿfar, die von den Imamiten als Imame verehrt werden, verfolgten hingegen in dieser Zeit eine quietistische Politik gegenüber den herrschenden Kalifen. Sie blieben im Hedschas und beteiligten sich an keinerlei aufständischen Aktivitäten.[9] Alidische Aufstände unter den AbbasidenNach dem abbasidischen Herrschaftsantritt war das Verhältnis zwischen Aliden und Abbasiden zunächst relativ entspannt. ʿAbdallāh machte dem ersten abbasidischen Kalifen Abū l-ʿAbbās as-Saffāh seine Aufwartung und erkannte seine Herrschaft an.[12] Während des Kalifats von al-Mansūr sammelten jedoch zwei Söhne ʿAbdallāhs, Muhammad an-Nafs az-Zakīya und Ibrāhīm, Anhänger um sich und machten den Abbasiden die Herrschaft streitig. 762 unternahmen sie einen großangelegten Aufstand in Medina und Basra,[13] bei dem sie von ʿĪsā, einem Sohn Zaid ibn ʿAlīs, und dessen Anhängerschaft, den Zaiditen, unterstützt wurden.[14] In einem Brief an al-Mansūr hielt Muhammad den Abbasiden vor, dass sie ihre Herrschaft den Aliden zu verdanken hätten: „Nur durch uns konntet ihr den Anspruch auf diese Macht erheben, mit unserer Partei (šīʿa) seid ihr ausgezogen, um sie zu erlangen, und unseretwegen habt ihr sie erhalten.“[15] Der Aufstand der beiden wurde allerdings schon ein Jahr später niedergeschlagen. Es gab auch Aliden, die die Abbasiden unterstützten. Ein Beispiel ist al-Hasans Enkelsohn al-Hasan ibn Zaid (gest. 784), den al-Mansūr als Statthalter von Medina einsetzte. Abū Nasr al-Buchārī präsentiert ihn als den ersten Aliden, der sich in Schwarz, der Farbe der Abbasiden, kleidete.[16] Im Jahre 786, unter dem kurzen Kalifat al-Hādīs, unternahm ein weiterer Alide mit dem Namen al-Husain ibn ʿAlī einen Aufstand in Medina, der allerdings mit einem Debakel endete: er wurde in Fachch bei Medina von abbasidischen Truppen besiegt.[17] Unter dem Kalifat Hārūn ar-Raschīds gelang es einem dritten Sohn ʿAbdallāhs, Idrīs, in den westlichen Maghreb auszuweichen und dort 789 mit Unterstützung einheimischer Berberstämme einen hasanidischen Staat zu begründen. Seine Nachkommen, die Idrisiden, herrschten bis zum Anfang des 10. Jahrhunderts über weite Gebiete des heutigen Marokko. Ein vierter Sohn ʿAbdallāhs, Yahyā, zog im Irak und in Persien herum und bereitete 792 in Dailam einen Aufstand gegen den Kalifen vor.[18] Auch dieser Aufstand erhielt die Unterstützung der Zaiditen. So soll zum Beispiel der bekannte zaiditische Theologe Sulaimān ibn Dscharīr aus Raqqa Yahyā gehuldigt haben.[19] Nachdem sich aber Yahyā mit seiner zaiditischen Anhängerschaft, insbesondere den Butriten, überworfen hatte, akzeptierte er ein Amnestieangebot, das ihm der Barmakide al-Fadl ibn Yahyā unterbreitete. Das Schreiben, das ihm und 70 seiner Anhänger für den Fall, dass sie sich ergäben, Straffreiheit zusicherte, war vom Kalifen, Rechtsgelehrten, Qādīs und prominenten Abbasiden unterschrieben. Yahyā legte daraufhin die Waffen nieder und wurde vom Kalifen in Bagdad festlich empfangen. Das Ereignis wurde als Versöhnung zwischen Abbasiden und Aliden gefeiert.[20] Yahyā zog sich mit seiner Familie nach Medina zurück. Da er aber nicht bereit war, die Namen seiner 70 Anhänger namentlich zu nennen, für die die Sicherheitsgarantie gelten sollte, und es immer wieder Gerüchte über konspirative Aktivitäten seiner Anhänger gab, ließ der Kalif eine Gruppe von Rechtsgelehrten zusammenrufen, um die Sicherheitsgarantie von ihnen für ungültig erklären zu lassen. Während sich asch-Schaibānī weigerte, diesen Schritt zu autorisieren, und damit den Ärger des Kalifen auf sich zog, erklärte der Qādī Abū l-Bachtarī Wahb ibn Wahb (gest. 815) das Schreiben für ungültig und zerriss es. Der Kalif konnte somit Yahyā erneut gefangen nehmen lassen, und dieser starb einige Zeit später im Gefängnis.[21] Zu einem weiteren alidischen Aufstand kam es im Jahre 814, nachdem zwei Jahre zuvor der Abbaside al-Ma'mūn seinen Bruder al-Amin besiegt und sich mit seinem Hof nach Merw zurückgezogen hatte. Das auf diese Weise im Zentrum des abbasidischen Reiches entstandene Machtvakuum nutzte ein gewisser Abū s-Sarāyā aus. Er zettelte im Irak im Namen des riḍā min āl Muḥammad einen großangelegten Aufstand an, der von verschiedenen schiitischen Gruppen, darunter erneut den Zaiditen, unterstützt wurde. In Kufa, Basra, dem Hedschas und dem Jemen ergriffen verschiedene fatimidische Aliden die Macht und vertrieben die abbasidischen Gouverneure aus ihren Positionen. Der Aufstand konnte erst zwei Jahre später endgültig niedergeschlagen werden.[22] In der Mitte des neunten Jahrhunderts kam es im Hedschas zu einer Reihe kleinerer alidischer Aufstände, in deren Folge viele Aliden in der Folgezeit den Hedschas verließen. Darüber hinaus zeigt der Aufstand der Zandsch in den Jahren 868 bis 883 im Südirak, der von einem Mann angeführt wurde, der sich als Alide ausgab, welche Mobilisierungskraft die Verbindung zu dieser Familie zu jener Zeit immer noch bei Gruppierungen hatte, die gegen die abbasidische Herrschaft kämpften.[23] Alidische DynastienMehrere islamische Dynastien nahmen bzw. nehmen für sich eine alidische Abkunft in Anspruch:
Die Aliden als islamischer ErbadelSchon im Mittelalter bildeten die Aliden als Nachkommen des Propheten eine Art religiösen Erbadel. In einigen Städten waren sie sehr zahlreich. So gewann zum Beispiel Dorothea Krawulsky anhand einer Lokalgeschichte der iranischen Stadt Beyhaq aus dem 12. Jahrhundert den Eindruck, dass es zu dieser Zeit „in Beyhaq nichts so sehr im Überfluss gab wie ʿAliden“.[24] Aliden heirateten dabei zunehmend innerhalb der Familie; alidische Frauen heirateten fast nur noch alidische Männer.[25] In vielen islamischen Ländern standen die Aliden unter der Autorität eines Obmanns, der als Naqīb al-aschrāf („Aufseher der Vornehmen“) bezeichnet wurde. Er kannte sich mit den verschiedenen alidischen Abstammungslinien aus und führte ein Register der Aliden.[9] Im Osmanischen Reich gab es einen solchen Aufseher in jeder größeren Stadt. Er hatte Abstammungsurkunden zu prüfen, denjenigen, die ihre alidische Abstammung nachgewiesen hatten, eine solche Urkunde auszustellen, und Delinquenten zu bestrafen, die sich fälschlich auf eine alidische Abkunft beriefen.[26] Heute sind die hasanidischen und husainidischen Aliden sehr zahlreich und über alle muslimischen Länder verbreitet. Von den übrigen Muslimen unterscheiden sie sich durch die Adelstitel Sayyid („Herr“) oder Scharīf („Edler“) und das Recht, einen grünen Turban zu tragen. Die alidische Abstammung wird üblicherweise durch eine Abstammungsurkunde (šaǧara oder silsila-nāma) nachgewiesen.[26] Stammbaum der wichtigsten alidischen Linien
LiteraturQuellen
Studien
Einzelnachweise
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