Die Unterrichtsstunde (Drama)Die Unterrichtsstunde (franz. La Leçon) ist ein Einakter von Eugène Ionesco (1909–1994), einem französisch-rumänischen Autor, der in Frankreich als der bedeutendste Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und als führender Vertreter des Absurden Theaters gilt. Das Stück wurde im Juni 1950 geschrieben und am 20. Februar 1951 im kleinen, von France Guy geleiteten Zimmertheater Théatre de Poche Montparnasse unter der Regie von Marcel Cuvelier uraufgeführt. Das vom Verfasser im Untertitel als drame comique (komisches Drama) bezeichnete Stück wird bis zum heutigen Tage ununterbrochen und in der noch immer gleichen Inszenierung (zusammen mit Ionescos Einakter Die kahle Sängerin) im Pariser Théatre de la Huchette gezeigt. Auch im deutschen Sprachraum erfreut es sich großer Beliebtheit, besonders – nicht zuletzt seines geringen personellen Aufwands wegen – bei experimentierfreudigen Studenten-, Keller- und Zimmertheatern, die mit kleinen Ensembles auskommen müssen. Handlung(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im dtv-Verlag erschienene Textausgabe.) Ein Professor, „klein von Gestalt, schon ziemlich alt, mit weißem Spitzbart“, empfängt seine neue Studentin (heute schon die vierzigste), eine einfältige Abiturientin von achtzehn Jahren, um ihr in seinem Arbeitszimmer, auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Eltern, Privatunterricht „in allen Fakultäten gleichzeitig“ zu erteilen. „Er ist äußerst höflich, sehr schüchtern, seine Stimme klingt daher gedämpft; dabei ist er sehr korrekt und schulmeisterlich. Er reibt sich immerfort die Hände. Von Zeit zu Zeit leuchtet etwas Lüsternes in seinen Augen auf, das aber ebenso rasch wieder verschwindet“ (40). Das Mädchen, grau gekleidet, mit einem „kleinen weißen Kragen auf dem dunklen Kleid“, trägt brav eine Schulmappe unter dem Arm, versichert gleich zu Anfang, große „Lust zum Lernen“ zu haben und über ihre Allgemeinbildung hinaus ihre Kenntnisse „vertiefen“ und sich „spezialisieren“ zu wollen. (42) Das anfangs noch so optimistische Mädchen wird immer konfuser und (abgesehen von kurzen, seltener werdenden Aufmüpfigkeiten) immer kleinlauter. Es klagt über zusehends stärker werdende Zahnschmerzen und wird schließlich so apathisch, dass es sich dem herrischen Diktat ihres Lehrmeister bedingungslos hingibt und – Höhepunkt der hörigen Unterwerfung – sich von ihrem Peiniger mit einem riesigen unsichtbaren Messer zweifach durchstoßen und „von unten nach oben aufschlitzen“ (67) lässt. Den ganzen Körper des Professors durchläuft ein Zucken, er schwankt und fällt auf einen Stuhl. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, stammelt unverständliche Worte vor sich hin, betrachtet das Messer in seiner Hand, dann das junge Mädchen und wird endlich, als ob er aus einem langen Traum erwache, von panischem Schrecken ergriffen. Verzweifelt schreit er nach seinem Dienstmädchen um Hilfe. Deutung„Die ungeachtet der unerbittlichen Konsequenz der Parabel mit burlesken und pantomimisch-komischen Zügen durchsetzte Farce lässt sich auf mehreren Ebenen interpretieren:
Der Mord kann als sexueller Akt begriffen werden, als imaginäre Vergewaltigung des Mädchens durch den in einen Autoritätsrausch versetzten alten Professor. (Die Regieanweisung verlangt von dem auf einen Stuhl gesunkenen, toten Mädchen, die Beine schamlos gespreizt zu beiden Seiten herabhängen zu lassen.) An die Stelle der zur Verständigung untauglich gewordenen Sprache tritt ein sadistischer Zerstörungstrieb, der über den psychologischen Sachverhalt hinaus in eine metaphysische Dimension führt, in einen menschlichen Erfahrungsbereich, der sich nach Meinung des Autors dem amputierten Realitätsbegriff des einseitig am sozialen Verhalten orientierten ideologischen Theaters im Sinne Brechts überlegen erweist.“[1] Musikalische BearbeitungLa Leçon nennt sich auch das Ballett in einem Akt des dänischen Choreographen Flemming Flindt mit Musik von Georges Delerue, dessen Libretto auf dem Drama von Ionesco basiert und von diesem ausdrücklich autorisiert wurde. Die Uraufführung fand am 6. April 1964 an der Opéra-Comique in Paris statt. Der Bühnenfassung vorausgegangen war ein Fernsehballett, das am 16. September 1963 von Danmarks Radio Television erstmals ausgestrahlt worden war. LiteraturTextausgaben
Sekundärliteratur
Einzelnachweise
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