Hermann Claudius, ein Urenkel von Matthias Claudius, arbeitete von 1900 bis 1934 als Volksschullehrer, unterbrochen von 1916 bis 1918 von der Rekrutenausbildung und seinem Einsatz als Kanonier an der Westfront im Ersten Weltkrieg, wobei er Hans Grimm kennenlernte.[2] Nach seiner Frühpensionierung infolge eines Motorradunfalls, der allmählich zur Taubheit führte, war er freier Schriftsteller.
1904 heiratete er Franziska Blaschka (1880–1941), mit der er bis zu ihrem Tod verheiratet blieb und mit der er vier Töchter hatte: Ilse (* 1905), Hedda (* 1908), Trude Maren (1911–1980)[3] und Ursula (* 1919).[4][5]
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und ihre deutschnationalen Bündnispartner wurden die liberalen, linken und als Juden geltenden Mitglieder der Sektion Dichtkunst in der Preußischen Akademie der Künste wie Heinrich und Thomas Mann, Käthe Kollwitz, Leonhard Frank oder Ricarda Huch zum Austritt gezwungen. Zu den Neumitgliedern, die an ihre Stelle traten, gehörte Hermann Claudius.
Im Oktober 1933 war er einer der 88 deutschen Schriftsteller, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterzeichneten.[8] Er war Vorstandsmitglied des 1936 gegründeten Eutiner Dichterkreises, einer der bekanntesten Autorengruppen im nationalsozialistischen Deutschland.[9] Ebenso nahm er an den 1934 von dem völkischen Verfasser Hans Grimm („Volk ohne Raum“) begründeten „Lippoldsberger Dichtertagen“ konservativer, völkischer und nationalsozialistischer Autoren teil.[10] Seine Veröffentlichungen im Nationalsozialismus bewegten sich zwischen pathetischer Frömmigkeit und klarer literarischer Unterstützung des NS-Regimes, so zum Beispiel in einem Gebet für Adolf Hitler. Es erschien 1940 unter dem Titel Deutschland: „Herrgott steh dem Führer bei, / Daß sein Werk das deine sei“.[11] Seine Texte wurden aufgrund ihres propagandistischen Werts gerne in die massenmediale Literatur, so in die Tageszeitungen aufgenommen. Dafür steht z. B. das von Konrad Ameln vertonte Das Lied vom neuen Reich:[12] „dafür marschieren wir, ich und du / Und Hunderttausende dazu / Und wollen dafür sterben“.[13] In der Krakauer Zeitung, dem führenden NS-Organ im Generalgouvernement, war Claudius mit mehr als 50 Texten vertreten.[10]
1944 heiratete er seine zweite Ehefrau Gisa von Voigt (1915–2010).[6][14]
Nach dem Ende des Nationalsozialismus beteiligte sich Claudius erneut an den von Hans Grimm 1949 wiederbegründeten Lippoldsberger Schriftstellertreffen.[10] Mit dabei waren vor allem NS-belastete Autoren wie Wilhelm Pleyer oder Will Vesper, „die den Nationalsozialismus im Rückblick rechtfertigen“ wollten.[15][16]
Zwar wurde Claudius vom plattdeutschen Heimatmilieu nach wie vor wahrgenommen und wertgeschätzt, von der seriösen Literaturkritik und Literaturwissenschaft aber außer im Kontext von „Literatur im Nationalsozialismus“ nun nicht weiter rezipiert. Alte und neue Texte fanden kaum mehr Verleger. Mit grimmigem Sarkasmus notierte bereits 1946 Werner Bergengruen im Hinblick auf das Gedicht „Herrgott steh dem Führer bei“: „Die dritte Strophe ‚Führer, steh dem Herrgott bei‘ scheint leider nicht mitgedichtet worden zu sein“, und fügte hinzu: „Keine Mohrenwäsche wird diese Gebräuntheit von Claudius nehmen können.“[17] Er charakterisierte Claudius im Rückblick individuell-psychologisch und binnenliterarisch als ein „schwächliches, aufgeplustertes, selbstzufriedenes Halbtalentchen, ein Reimklempner von platter Moral, innig, sinnig und sonnig, recht ein Sänger des kleinbürgerhaft Gemütvollen“.[18] Kritik, die Claudius im Kontext seiner öffentlichen Rolle im Nationalsozialismus und seiner propagandistischen Bedeutung sieht, wertet ihn als „NS-Parteilyriker“[19] bzw. als „NS-Barden“ und „Alten Kameraden“.[20]
Positiv gewürdigt wurde er nach 1945 regelmäßig weiterhin von rechtsradikalen Medien und Autoren.[21] Aufnahme findet er heute noch im rechtsextremistischen Milieu.[22]
Bundeskanzler Willy Brandt gratulierte ihm 1973 zum 95. Geburtstag mit einer Telegramm-Aussage, die kontextlos überliefert ist: „Ihr umfangreiches Werk gehört zum besten literarischen Besitz unseres Volkes.“[27]
Einen Hermann-Claudius-Weg gibt es jeweils in Grönwohld, wohin Claudius im Jahr 1960 gezogen war, Hermer und Rohrsen, eine Hermann-Claudius-Straße in Heide und Kropp.
Im Stormarnschen Dorfmuseum wurde in dem Grönwohld benachbarten Ort Hoisdorf 1997 eine zuvor bereits vorhandene Ausstellung über den Dichter in erweiterter Form in einem eigenen, Hermann-Claudius-Stube genannten Raum aufgestellt.[28]
Nach Hermann Claudius ist eine Grundschule in Wasbek benannt.[29] Eine nach ihm benannte Hauptschule in Marl wurde aufgrund von Schulzusammenlegungen im August 2016 geschlossen.[30] Anders als in vielen anderen Fällen einer Schulbenennung nach NS-belasteten Schriftstellern gab es keine namenskritischen Diskussionen. Am Hamburger U-Bahnhof Jungfernstieg befindet sich eine 1932/33 dort gesetzte Tafel mit einem Claudius-Gedicht.[31]
Vertonungen
Mehrere Gedichte von Claudius wurden vertont. Am bekanntesten dürfte sein in seiner sozialdemokratischen Phase entstandenes Lied Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ … Mit uns zieht die neue Zeit sein (1914/15).[32] Dieses Lied wurde gern zum Abschluss von SPD-Parteitagen gesungen.
Sein sechsstrophiges WeihnachtsliedWisst ihr noch, wie es geschehen? von 1939 findet sich im gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuch (Nr. 52) in einer Vertonung aus demselben Jahr von Christian Lahusen. Ob es in einer Neuausgabe noch enthalten sein soll, wurde Ende 2022 diskutiert.[33]
Das erste Liederbuch der Bundeswehr nahm 1958 neben Texten von anderen NS-belasteten Autoren auch solche von Hermann Claudius auf.[34]
Weitere Vertonungen sind:
Von Curt Protze stammt eine Vertonung des Gedichtes „Licht muß wieder werden“.
Otto Siegl komponierte 1930 anlässlich des 900-jährigen Jubiläums des Speyerer Doms einen Festlichen Hymnus für Männerchor und Blasorchester (op. 72) ebenfalls auf das Gedicht „Licht muß wieder werden“.
Karl Marx vertonte das Gedicht „Jeden Morgen geht die Sonne auf“.
Paul Graener verwendete eines seiner Gedichte in den Fünf Liedern op. 102 (1936).
Konrad Friedrich Noetel verarbeitete das Gedicht „Dass dein Herz fest sei“ in einem Chorwerk.
Hörspiele
1953: Das Kain- und Abel-Spiel – Regie: Eberhard Freudenberg (Kurzhörspiel, Mundarthörspiel – RB)
Liselotte Greife: Und dennoch Melodie. Zum 125. Geburtstag des Dichters Hermann Claudius. In: Zwischen Elbe und Weser, Bd. 22 (2003), S. 2–3.
Numme Numsen: Hermann Claudius. Langen/Müller, München 1938.
Dietmar Pistorius: Art. Claudius, Hermann. In: Wolfgang Herbst (Hg.): Wer ist wer im Gesangbuch? Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-50323-7, S. 61–62.
Claus Schuppenhauer: Hermann Claudius: über einen großen plattdeutschen Lyriker. In: Quickborn, Bd. 89 (1999), S. 28–64.
Joachim Wergin: Vor zwanzig Jahren starb Hermann Claudius. In: Jahrbuch des Alstervereins, Bd. 75 (2001), S. 11–14.
↑Dietmar Pistorius: Art. Claudius, Hermann. In: Wolfgang Herbst (Hg.): Wer ist wer im Gesangbuch? Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2001, S. 61–62, hier S. 61.
↑Ernst Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz: Das Dritte Reich und seine Dichtung. Eine Dokumentation , Europ. Verl. Anst., 1977, S. 314.
↑Helmuth Kiesel: Geschichte der literarischen Moderne. Sprache, Ästhetik, Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert, München 2004, S. 239. Siehe hermann-claudius.de (Memento vom 6. Oktober 2014 im Internet Archive).
↑Joseph Wulf, Literatur und Dichtung im Dritten Reich, Sigbert Mohn Gütersloh 1963, S. 96, mit Bezug auf die Quelle Schleswig-Holsteinische Zeitung vom 26. Oktober 1933, sowie Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 98.
↑Uwe Danker, Astrid Schwabe: Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus. Neumünster 2005, S. 88.
↑ abcErnst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 98; Heinrich Schleichert (Hrsg.), Lippoldsberg [Standort des Hans-Grimm-Archivs], Lippoldsberg 1972, mit Fotos von Hermann Claudius.
↑Zitat bei Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 99.
↑Werner Bergengruen: Schriftstellerexistenz in der Diktatur. Aufzeichnungen und Reflexionen zu Politik, Geschichte und Kultur 1940–1963 (= Biographische Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 22). Hrsg. von Frank-Lothar Kroll, N. Luise Hackelsberger und Sylvia Taschka. Oldenbourg, München 2005, ISBN 3-486-20023-2, S. 54 (als Vorschau online bei Google Books).
↑Susann Witt-Stahl: „Ja, wir sind die Herren der Welt“. NS-Spuren im Liederbuch der Bundeswehr, Teil I. In: Neue Musikzeitung, 50 (2001), Nr. 10.
↑Siehe z. B.: Heinrich Schleichert (Hrsg.): Lippoldsberg. Klosterhaus-Verlag, Lippoldsberg 1972, S. 29–31. Hans Friedrich Blunck: Licht auf den Zügeln. Lebensbericht. 1. Bd., Kessler-Verlag, Mannheim 1953, S. 200, 202, 218, 329, 331. ders.: Unwegsame Zeiten. Lebensbericht. 2. Bd., Kessler-Verlag, Mannheim 1952, S. 165, 196. dr-hk.: Der Soldat und seine Heimat. Ein Gedenkblatt für Hermann Claudius. In: Deutsche Soldaten-Zeitung, Nr. 47, 19. November 1953, S. 7. Reinhard Pozorny: Hermann Claudius. In: Klüter Blätter, Berg / Starnberger See. 28 (1977), H. 11. S. 39/40; Brigitte Pohl: Hermann Claudius – 100 Jahre. Zu seinem Geburtstag am 24. Oktober. In: Deutsche Soldaten-Zeitung, Oktober 1978. Karl Götz: „I like Deutsch“. Geschichten vom Glanz und Elend unserer Sprache. Hohenstaufen-Verlag, Berg am Starnberger See 1981, S. 145–148.
↑So ausweislich einer Hermann-Claudius-Nachlass-HP (hermann-claudius.de (Memento vom 1. Oktober 2012 im Internet Archive)) und mit der folgenden Quellenangabe: Bremer Nachrichten, 25. Oktober 1973.
↑Das Lied stammt nicht, wie häufig, auch von Claudius selbst, angegeben, aus dem Jahre 1916: Das Gedicht wurde bereits im Juni 1914 in der Monatsbeilage Die arbeitende Jugend des Hamburger Echo veröffentlicht, die Melodie schrieb Michael Englert im Frühjahr 1915. (vgl. den Hauptartikel und die dortigen Quellen).
↑Susann Witt-Stahl, „Ja, wir sind die Herren der Welt“. NS-Spuren im Liederbuch der Bundeswehr, Teil I, in: Neue Musikzeitung, 50 (2001), Nr. 10.
↑Armantje = niederdeutsche Koseform von Hermann. So als Fußnotenhinweis in: Hermann Claudius: Wie ich den lieben Gott suchte, in: Hermann Claudius: Karge reiche Kinderzeit. Geschichten um Armantje. Eugen Salzer-Verlag, Heilbronn 1966 (Salzers Volksbücher, 65), S. 17 bis 23, hier S. 20.