Leonhardskirche (Stuttgart)Die Leonhardskirche in Stuttgart ist die zweitälteste Kirchengründung in der Altstadt Stuttgarts und heute Mittelpunkt der Evangelischen Leonhardkirchengemeinde Stuttgart innerhalb des Kirchenkreises Stuttgart der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Geschichte1337 wurde am Ort der heutigen Kirche – auf freiem Feld circa 500 Meter vor dem damaligen Esslinger Tor – eine kleine, dem heiligen Leonhard geweihte Kapelle errichtet. Wahrscheinlich diente der Bau zunächst als Station für Pilger des Jakobswegs. Ab Ende des 14. Jahrhunderts entwickelte sich außerhalb des Esslinger Tores und mit der Kapelle als Zentrum eine Vorstadt, wahlweise nach Tor oder Kapelle als Esslinger oder Leonhardsvorstadt bezeichnet. Noch vor 1408 wurde der erste Bau durch eine einschiffige Kirche mit Chor und Turm ersetzt. Mit der Aufgabe des Friedhofs der Stiftskirche wurde der Leonardskirchhof 1430 Friedhof für die Bürger Stuttgarts. Die Bedeutung der Kirche nahm weiter zu, obwohl sie bis 1806 Filialkirche blieb. Bereits im Jahr 1463 wurde eine Erweiterung der Kirche notwendig, die der Baumeister der Stiftskirche, Aberlin Jörg, bis 1466 durchführte. Nach dieser Baumaßnahme präsentierte sich die Leonhardskirche als spätgotische dreischiffige Hallenkirche mit leicht eingezogenem Chor und seitlich stehendem Turm. In dieser Form verblieb das Bauwerk fast unverändert bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Nach dem verheerenden Bombardement Stuttgarts im Jahre 1944 wurde die stark beschädigte Kirche zwischen 1948 und 1954 durch Rudolf Lempp vereinfacht wiederaufgebaut. BauwerkÄußeresDie Leonhardskirche erhebt sich auf dem Leonhardsplatz parallel zur Hauptstätter Straße auf einer Grundfläche von 53 × 22 Metern. Das Langhaus misst 34 × 22 Meter, der Chor 19 × 12 Meter. Das Langhaus der spätgotischen Hallenkirche wird durch drei gleich hohe Schiffe mit fünf Jochen gegliedert und durch ein hohes, ziegelgedecktes Satteldach mit Schleppgauben bekrönt, das fast so hoch wie die Außenwände ist. Der einschiffige, schmälere und niedrigere Chor von 3 Jochen Tiefe endet mit einem Dreiachtelschluss und wird von einem abgewalmten Satteldach bekrönt, ebenso die halbhohen Sakristeianbauten. Im südlichen Winkel von Chor und Langhaus erhebt sich der 55,5 m hohe Turm mit einem geschweiften Faltdach. Der steile Spitzhelm mit seiner grünen Patina wirkt als weithin sichtbares Erkennungszeichen der Kirche. In der Ecke zwischen Turm und Chor erhebt sich bis zur Höhe des Chors ein achteckiges Treppentürmchen mit Pyramidendach und Kreuzblume. Die Außenmauern der Kirche tragen einen dunkelgelben Verputz, nur die Umrahmungen der Fenster und die Vorderseiten der Strebepfeiler zeigen den unverputzten Sandstein. Die Kirche verfügt außer dem Hauptportal im Westen über 7 weitere Zugänge, 5 einfache und 2 doppelte Türen. Außer durch die Rose im Westen wird die Kirche durch 22 Maßwerkfenster mit Spitzbogen belichtet, unter anderem durch je 5 Fenster an den Langseiten und im Chor. Die Sandsteinumrahmungen der Spitzbogenfenster sind als unregelmäßige Rustikarahmen ausgebildet. Strebepfeiler mit geschweifter Verdachung und zweifachem Rücksprung stützen die Gewölbe: je 4 an den Langseiten und 2 an der Westfassade, außerdem 3 schräggestellte Pfeiler an den Langhausecken. Niedrigere Pfeiler, die ein Wimperg mit Kreuzblume bekrönt, stützen den Chor (4 Pfeiler) und die beiden Sakristeien (je 3 Pfeiler). Ein Kappgesims in Höhe des ersten Rücksprungs der Strebepfeiler verläuft um die gesamte Kirche und wird an den Fenstern zur Fensterbank abgekröpft.[1] InneresDie Halle des Innenraums gliederte sich bis zum Zweiten Weltkrieg in 3 gleich hohe Schiffe mit Netzgewölben. Sie waren durch zwei Arkadenreihen mit je vier profilierten achtseitigen Pfeilern und spitzen Scheidbögen voneinander getrennt. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wurde der Innenraum nur teilweise rekonstruiert. Die Wände erhielten einen weißen Anstrich, so dass die Kirche, auch auf Grund der durchsichtigen, hell getönten Scheiben der Langhausfenster, in hellem Licht erstrahlte. Die erhaltene linke Arkadenreihe trennt das linke Seitenschiff vom Mittelschiff, während dieses auf Grund der zerstörten rechten Arkadenreihe mit dem rechten Seitenschiff einen einzigen Raum bildet.
Die Netzgewölbe wurden nicht wiederhergestellt, stattdessen erhielten Mittelschiff und rechtes Seitenschiff eine flache, dunkel getönte Holzdecke, die durch die unterschiedliche Ausrichtung der Deckenbalken an die Trennung der beiden Schiffe erinnert. Je ein Halbpfeiler an der Westwand und der Ostwand sowie Gewölbeanfänger und Scheidbögen an der Südwand erinnern als Überreste an die verlorene rechte Arkadenreihe. Ein Teil des Chorgestühls aus der Hospitalkirche wurde an der Südwand aufgestellt. Im linken Seitenschiff wurden die Kreuzrippengewölbe durch einfache Kreuzgratgewölbe ersetzt. Die ersten drei Arkaden (von Westen her) wurden durch eine hölzerne Empore miteinander verbunden. In der Ecke des letzten Jochs des linken Seitenschiffs wurde 1970 die Orgel aufgebaut. Während die Orgel sonst meist abgehoben auf einer Empore thront, bietet der ebenerdige Aufbau den Gläubigen den seltenen Vorteil der Nähe zu Orgel und Organist. Ein spitzer Triumphbogen trennt das Mittelschiff vom Chor. „Der nahezu stilecht renovierte Chor zeigt die alte Herrlichkeit“, heißt es in einer Beschreibung des Wiederaufbaus der Kirche.[2] Dies gilt besonders für das original wiederhergestellte Netzrippengewölbe. Die 3 mittleren der 5 Spitzbogenfenster im Chorhaupt wurden 1957 mit Buntglasfenstern ausgestattet. Im Chor ist der Choraltar aufgestellt, während der Hauptaltar an der Grenze zum Chor im Mittelschiff steht. An den seitlichen Chorwänden wurde ein Teil des Chorgestühls aus der Hospitalkirche aufgestellt. Vom Chor führt eine Tür links zur ehemaligen Sakristei und rechts zur jetzigen Sakristei.[3] InnenraumIn der Kirche wurde 1522 der Humanist Johannes Reuchlin beigesetzt. Sein Grabstein befindet sich im Chor. Eine Ausstellung erinnert an Reuchlins Leben und Werk.[4] AusstattungDie bildhauerische Ausstattung der Leonhardskirche beschränkt sich auf Kreuzblumen der Strebepfeiler und die Bekrönung des Westportals. Auch das Innere ist schmucklos, mit Ausnahme der Schlusssteine und der Grabmäler. Die übrige Ausstattung stammt aus anderen Kirchen, aus Schenkungen und Leihgaben. Hinzu kommen Auftragswerke von Künstlern des 20. Jahrhunderts, zu denen die Glasfenster und die Tafelgemälde der Emporenbrüstung und der Kanzelbrüstung gehören.
SchlusssteineNach dem Zweiten Weltkrieg konnten aus den Trümmern der Leonhardskirche 11 von ursprünglich 21 Schlusssteinen gerettet werden. 10 der Schlusssteine sind gut erhalten, von dem Schlussstein mit Erzengel Michael ist nur ein Fragment verblieben. 5 Schlusssteine sind im Chorgewölbe angebracht, die übrigen 6 in Augenhöhe an den Langhauswänden. Literatur: #Wais 1956, Seite 26–29.
GrabmälerVon den etwa 130 ehemaligen Grabplatten und. Epitaphen aus Stein, Holz und Eisen für die von vornehmen und einflussreichen Bürger- und Patrizierfamilien bevorzugten Grablegen haben nur wenige die Jahrhunderte überdauert.[8] Im Inneren der Leonhardskirche haben sich 12 Grabmäler erhalten, 7 an der Chorwand und 5 an der Westwand. 5 Holzepitaphe werden im Stadtmuseum Stuttgart verwahrt.[9] An der Außenwand der Kirche, die früher von einem Friedhof umgeben war, hat sich eine Grabinschrift erhalten. Sie ist übereck am Strebepfeiler links des Haupteingangs auf einem Stein der Eckrustika angebracht und lautet:[10]
(Am 22. März 1546 ist die ehrsame Irmela Bientz, die Hausfrau des Weinbergers[11] Hans Bientz, in Gott entschlafen.)
GlasfensterDie breiteren Glasfenster im Langhaus der Kirche sind 3-bahnig und 6-stufig, die schmaleren Fenster im Chor sind 2-bahnig und 8-stufig. Alle Fenster enden mit einem Maßwerkbogen. Die schmucklosen Glasfenster bestehen aus durchsichtigen Scheiben in hell getönten Farben. Die Rose der Westfassade und die 3 Chorfenster sind als bunte Glasfenster gestaltet und entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg.
EmporenbrüstungDas linke Seitenschiff der Kirche ist durch 4 Arkaden vom Hauptschiff getrennt. Die ersten 3 Arkaden sind durch eine Empore verbunden, die durch eine Brüstung mit 4 Friesen mit farbigen Tafelgemälden gesichert ist. Sie wurden wie die Tafeln der Kanzelbrüstung 1956 von Rudolf Yelin dem Jüngeren geschaffen und zeigen je 6 Einzelbilder aus dem Neuen Testament. Literatur: #hj 2019, #Möhring 1984, Seite 13. Tafel 1: Vertreibung aus dem Paradies, Empfängnis durch den Heiligen Geist, Tafel 2: Anbetung der Weisen, Taufe Jesu, Einzug in Jerusalem, Abendmahl, Ölberg. Tafel 3: Kreuzigung und Grablegung, Kreuzabnahme und Beweinung, Tafel 4: Himmelfahrt, Pfingsten, Michaels Drachenkampf, Kirche auf dem Fels. KanzelbrüstungDie Kanzel ist rechts und links der Treppe von einer Brüstung mit 6 farbigen Tafelgemälden gesichert, die 5 Gleichnisse Jesu darstellen. Sie wurden wie die Tafeln der Emporenbrüstung 1956 von Rudolf Yelin dem Jüngeren geschaffen. Die Tafeln sind ab der Kanzeltreppe gegen den Uhrzeigersinn nummeriert. Literatur: #hj 2019, #Möhring 1984, Seite 14.
ChorgestühlDas Chorgestühl wurde 1490 und 1493 von Hans Ernst von Böblingen bzw. Conrad Zolner und Hans Haß hergestellt und im Chor der Hospitalkirche aufgestellt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Chorgestühl, das 1943 noch 63 Sitze umfasste, in der Thomaskirche in Stuttgart-Kaltental geborgen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die weitgehend zerstörte Leonhardskirche bis 1950 wieder aufgebaut, während das Schicksal der bis auf Turm, Chor und Südfassade zerstörten Hospitalkirche ungewiss blieb. Die erhalten gebliebenen Segmente des Chorgestühls wurden daher in der Leonhardskirche aufgestellt, wo sie auch nach dem Teilwiederaufbau der Hospitalkirche im Jahr 1960 weiterhin verblieben. Das erhaltene Chorgestühl in der Leonhardskirche besteht aus sechs Sitzreihen aus Eichenholz mit 57 von ursprünglich 87 Sitzen. Die Sitze sind mit reichem Schnitzwerk an den Wangen, den Knäufen der Armlehnen und den Miserikordien ausgestattet und tragen an den Rücklehnen und Dorsalen Inschriften mit den Namen verbrüderter Klöster. Eine der beiden ursprünglich hinteren Sitzreihen wird von einem Baldachin überkrönt. KreuzigungsgruppeIm Jahr 1501 schuf Hans Seyfer für den Leonhardskirchhof, der die Kirche seit dem Mittelalter bis zum Jahr 1805 umgab, eine Kreuzigungsgruppe, die vor der Chorwand der Kirche aufgestellt wurde. 1905 fertigte der Bildhauer Reichelt unter der Leitung von Adolf von Donndorf eine Kopie des Werks an, um das Original vor der Witterung zu schützen. Die Originalfiguren und das Kruzifix wurden im Chorschluss der Hospitalkirche auf würfelförmigen Podesten aufgestellt, „ohne den für die Komposition immens wichtigen Felshügel“. Die Kreuzigungsgruppe wurde im Zweiten Weltkrieg 1944 stark beschädigt. 1948 wurde die durch den Kunstbildhauer Hans Gerdes wiederhergestellte Gruppe wieder eingeweiht. Auf Grund des fortschreitenden Zerfalls musste sie 1975 abermals durch eine von dem Bildhauer Günter Schönfeld angefertigte Kopie ersetzt werden.[26] OrgelDie große Orgel der Leonhardskirche wurde 1970 durch die Orgelbaufirma Paul Ott (Göttingen) erbaut. Das Instrument hat 58 Register auf drei Manualen und Pedal. Die Spieltrakturen sind mechanisch, die Registertrakturen elektrisch.[27]
Glocken1954 erhielt die Leonhardskirche ein neues Geläut von fünf Glocken, das die ersten Töne des Chorals „Gott rufet noch“ wiedergibt. Das Geläut besteht aus den folgenden Glocken:
Die Glocken d', e', fis' und a' wurden in der Glockengießerwerkstatt von Heinrich Kurtz in Stuttgart gegossen. Der obere Glockenstuhl für die vier Glocken von Kurtz und der untere für die Leihglocke aus Elbing ruhen auf Zwischendecken aus Beton, wodurch Schwingungen verhindert werden, die früher den ganzen Turm zum Mitschwingen brachten. Die Glocken hängen in einer Glockenstuhlkonstruktion, die vom Mauerwerk unabhängig ist.[28] PfarrerZu den bekannten Pfarrern der Leonhardskirche gehören (Amtszeit in Klammern):
VesperkircheDiakoniepfarrer Martin Friz (1943–2011) ergriff 1995 erstmals die Initiative, in der Leonhardskirche eine Vesperkirche durchzuführen. Als Vesperkirche Stuttgart wurde das Sozialprojekt bundesweit beachtet und fand zahlreiche Nachahmer in anderen Städten Deutschlands.[29] LiteraturAllgemein
Johannes Reuchlin
WeblinksCommons: Leonhardskirche (Stuttgart) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
Koordinaten: 48° 46′ 24,1″ N, 9° 10′ 49,9″ O |