Marc-Antoine Charpentier [maʁk ɑ̃ˈtwan ʃaʁpɑ̃ˈtje] (* um 1643 in Paris; † 24. Februar1704 ebenda) war ein französischer Komponist zur Zeit Ludwigs XIV. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Hauptthema aus dem Präludium seines Te Deum, das heute als Fanfare bei Fernseh-Übertragungen im Rahmen der Eurovision verwendet wird.
Sein Vater und sein Großvater waren hohe Beamte am französischen Hof und beim Parlement de Paris, so dass eine Karriere als Künstler ein ungewöhnlicher Weg für Charpentier war. Doch angezogen von italienischen Bildern, reiste er 1665 nach Rom, um dort Malerei zu studieren. Er kam in Kontakt mit Giacomo Carissimi, dem damals berühmtesten römischen Komponisten, und wurde dessen Schüler.
1670 erhielt er eine Anstellung bei Marie de Lorraine (1615–1688), genannt Mademoiselle de Guise, die an ihrem Hof ein berühmtes Musiker- und Sängerensemble unterhielt. 1672 folgte er der Bitte von Molière, die Stelle von Jean-Baptiste Lully zu übernehmen, um den musikalischen Teil seiner Ballett-Komödien am théatre français zu gestalten.
Nach dem Tode der Mademoiselle de Guise 1688 erhielt Charpentier eine Anstellung bei den Jesuiten als maître de chapelle (Kapellmeister) an der Kirche Saint Louis und dem Kolleg Louis-le-Grand. Trotz seiner Bemühungen erhielt Charpentier keine Anstellung beim König, wurde jedoch oft mit Aufträgen bedacht. 1698 erhielt er eine feste Anstellung als Musiklehrer der Kinder der Sainte Chapelle mit herrschaftlicher Wohnung innerhalb des Palastes. Außerdem hatte er zu allen feierlichen Anlässen Musiken zu komponieren.
Tonartenschema „Énergie des modes“
Charpentier ordnete in seiner Musik die verschiedenen Tonarten jeweils bestimmten Charakteristiken oder Stimmungen zu, die er mit dem Begriff „Énergie des modes“ bezeichnete.[1][2]
Tonart
Original
Übersetzung
C-Dur
gai & guerrier
lustig und kriegerisch
c-Moll
obscur & triste
dunkel und traurig
D-Dur
joyeux & très guerrier
fröhlich und sehr kriegerisch
d-Moll
grave & dévot
ernst und fromm
E-Dur
cruel & dur
grausam und hart
e-Moll
horrible & affreux
grauenhaft und schrecklich
Es-Dur
querelleux & criard
streitlustig und schreiend
es-Moll
efféminé, amoureux & plaintif
weibisch, verliebt und klagend
F-Dur
furieux & emporté
wütend und aufbrausend
f-Moll
obscur & plaintif
düster und klagend
G-Dur
doucement joyeux
behutsam fröhlich
g-Moll
sérieux & magnifique
ernst und prunkvoll
A-Dur
joyeux & champêtre
fröhlich und ländlich
a-Moll
tendre & plaintif
zärtlich und klagend
B-Dur
magnifique & joyeux
prunkvoll und fröhlich
b-Moll
obscur & terrible
düster und schrecklich
H-Dur
dur & plaintif
hart und klagend
h-Moll
solitaire & mélancolique
einsam und schwermütig
Musik
Charpentiers Sorgfalt, alle Kopien seiner Werke binden und datieren zu lassen, ist es zu verdanken, dass der Nachwelt mehr als drei Viertel seiner Werke erhalten blieben. Sein Erbe umfasst 28 handschriftliche Bände mit rund 550 Werken, die im Hitchcock-Verzeichnis (Kürzel: H) katalogisiert sind.
Charpentier führte das lateinische Oratorium in Frankreich ein. Er kombinierte italienischen und französischen Stil in Rezitativ und Arie und räumte dem Chor eine bedeutende Rolle ein.[3] Die chorische Satzweise ist bei Charpentier vielfältiger als bei seinem Lehrer Carissimi, es finden sich reiner und modifizierter A-cappella-Stil, Konzertieren mit mehreren Chören, mit Solo und Chor oder mit Instrumentengruppen.[4] Seine 34 Werke dieser Gattung vereinigen dramatische Kontraste mit der Verlebendigung von Textdetails.[3] Die großformatige Kirchenmusik am Versailler Hof mit ihren Grand Motets wirkte entscheidend auf Charpentiers ähnlich besetzte Oratorien ein.[4] Einflüsse der Oper finden sich etwa in dem Prélude, das den zweiten Tail von Judicium Salomonis (1702) wie eine Schlummerszene eröffnet.[5]
Die machtvolle Position Lullys mit „unvergleichliche[n] Privilegien und Hofämter[n]“ bekam auch der hervorragende Komponist Charpentier zu spüren.[6] Einschränkungen der Musikerzahl für Operndarbietungen fielen nach Lullys Tod 1687 fort, sodass Charpentiers Tragédie lyrique Médée (H.491) 1693 an der Oper zur Aufführung gelangen konnte. Außergewöhnlich ist die Charakterisierung der verschiedenen Persönlichkeiten der Heldin als Geliebte, Mutter, eifersüchtige Ehefrau, sowie wütende und bösartige Zauberin. Der italienische Vokalismus ist mit präziser französischer Deklamation verbunden, Ariosi nehmen einen Platz zwischen Arie und Rezitativ ein. In den Tänzen sind die Mittelstimmen sorgfältig ausgebildet. Die Harmonik bietet scharfe Chromatik und evokative Dissonanzen.[7] Diese Neuerungen gegenüber Lullys Musik bedingte eine Ablehnung bei den Anhängern Lullys und das rasche Verschwinden der Oper aus dem Repertoire.[8]
Charpentiers erste Theatermusik, die Intermedien zu MolièresLe malade imaginaire (Der eingebildete Kranke; H.495, 495a, 495b) von 1673, bietet einen pastoralen Prolog mit Arien, Chor und Tänzen, wie es später bei Lully üblich werden sollte, ferner Possen, Galanterien und Parodien. Wegen Lullys Privileg, das alle Theateraufführungen mit mehr als zwei Singstimmen und sechs Streichinstrumenten untersagte, musste Charpentier die humorvolle Komposition umarbeiten.[9] Nach Molières Tod komponierte er die Zwischenmusiken zu Circé (H.496; 1675) von Thomas Corneille und zu Andromède (H.504; 1682) von Pierre Corneille, einer tragédie à machines. Insgesamt ist Musik von Charpentier zu 30 Bühnenwerken vorhanden.[7]
Charpentier ist der einzige französische Komponist des Barock mit nennenswerten Beiträgen zur konzertierenden Messe. Er schuf neun Vertonungen des Ordinariums höchst unterschiedlicher Gestaltung: Die Messe pour le Port Royal (H.5) folgt im Gegensatz zu anderen mehrchörigen Werken dem Gestaltungsmittel der Monodie. Die Messe de minuit pour Noël (H.9) bietet populäre Weihnachtslieder. Typisch sind instrumentale Einschübe und die Integration von Sätzen, die nicht zum Ordinarium gehören.[10]
Über 400 Werke verschiedener Textgattungen können der Gattung Motette zugeordnet werden. Am bekanntesten ist das Te Deum (H.146) das als Sendezeichen der Eurovision breiteste Bekanntschaft genießt.[11] Die pathetische Wendung der majestätischen Eröffnungsmelodie ähnelt einer Opernarie Lullys.[12]
Werke (Auswahl)
Opern
Les amours d’Acis et de Galatée (1678, Musik verloren) (Jean de La Fontaine)
Les arts florissants, Idylle en musique H.487 (1685)
Messe à 4 voix, 2 violons, 2 flûtes, 2 hautbois pour Mr Mauroy H.6 (1690)
Messe des morts à 4 voix H.7 (1690)
Messe pour le samedi de Pâques à 4 voix H.8
Messe de minuit H.9 – Hierbei handelt es sich um eine Parodiemesse, d. h. eine Messe, die eine bereits bestehende Melodie als cantus firmus beinhaltet. Charpentier greift hier auf eine Technik zurück, die bereits in der vierten Generation der franko-flämischen Komponisten (1520–1550) Verwendung fand. Er arbeitet mehrere weltliche cantus-firmi in jeden Satz mit ein, die er aus damaligen bekannten Weihnachtsliedern (Noëls) übernommen hat.
Messe des morts à 4 voix & symphonie H.10 (1695)
Assumpta est Maria: Missa sex vocibus cum simphonia H.11 (1699)
In Nativitatem D. N. J. C. Canticum H.414 (1683–1685)
In nativitatem Domini canticum H.416 (1680)
In nativitate Domini Nostri Jesu Christi canticum H.421(1698 - 99)
Dialogus inter angelos et pastores Judeae in nativitatem Domini H.420 (1690)
Caecilia virgo et martyr H.415 & H.415 a (1686)
Caecilia virgo et martyr H.413 (1683 - 85)
Caecilia virgo et martyr octo vocibus H.397 (1670)
Judicium Salomonis H.422 (1702)
84 psaume H.149-H.232
54 Leçons de Ténèbres, Répons H.91–H.144
Instrumental
Symphonie pour un reposoir H.508 (1670)
Messe pour plusieurs instruments au lieu des orgues H.513 (1670)
Offerte pour l'orgue et pour les violons, flûtes et hautbois H.514 (1670)
Symphonie pour un reposoir H.515 (1670)
Prélude, menuet et Passepied pour les flûtes et hautbois devant l'ouverture H520 (1679)
Noël pour les instruments H.531 (1680)
Noël sur les instruments H.534 (1690)
Concert pour 4 parties de violes H.545 (1680 - 81)
Sonate à 8 H.548 (?)
Sinfonien (Musik verloren)
Theoretische Werke
Remarque sur les messes à 16 parties d'Italie (H.549) 1670
Règles de Composition par Mr Charpentier (H.550) 1692 ?. In deutscher Übersetzung: Regeln für die Komposition. Übertragung aus dem Französischen von Otto Eckle. Opus, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-934263-05-5 (urn:nbn:de:hebis:30:3-317006).
Abrégé des règles de l’accompagnement de Mr Charpentier (H.551) 1692.
Martin Miersch: Zum Wettstreit der Künste in einer Barockoper. In: Sabine Heiser, Christiane Holm (Hrsg.): Gedächtnisparagone – intermediale Konstellationen (= Formen der Erinnerung Band 42). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, ISBN 978-3-89971-554-5, S. 169–189 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Shirley Thompson: New Perspectives on Marc-Antoine Charpentier. Ashgate Publishing, Farnham et. al. 2010, ISBN 978-0-7546-6579-3.
↑Catherine Cessac: Marc-Antoine Charpentier. Englische Übersetzung: E. Thomas Glasow. Amadeus Press, Portland 1995, ISBN 0-931340-80-2, S. 406f und 524 (Original: Librairie Arthème Fayard, Paris 1988).
↑ abDonald Jay Grout, Claude V. Palisca: A history of western music. 5th edition, W. W. Norton, New York 1996, S. 345.
↑ abGünther Massenkeil: Oratorium und Passion. Teil 1. Laaber Verlag, Laaber 1998, (= Handbuch der musikalischen Gattungen, Band 10/1), ISBN 978-3-89007-133-6, S. 169.
↑Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Athenaion, Wiesbaden 1981 (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Band 4), ISBN 3-7997-0746-8, S. 222f.
↑Gernot Gruber: Kulturgeschichte der europäischen Musik. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bärenreiter/Metzler, Kassel/Berlin 2020, ISBN 978-3-7618-2508-2 (Bärenreiter), ISBN 978-3-662-61629-1 (Metzler), S. 279.
↑ abH. Wiley Hitchcock: Charpentier, Marc-Antoine. In: Grove Music Online. Oxford Music Online. Oxford University Press, Version: 20. Januar 2001. http://www.oxfordmusiconline.com.
↑Elisabeth Schmierer: Charpentier, Marc-Antoine. In: Horst Weber (Hrsg.): Metzler Komponistenlexikon. Metzler, Stuttgart/Weimar 1992, S. 154–156, hier 155.
↑Elisabeth Schmierer: Charpentier, Marc-Antoine. In: Horst Weber (Hrsg.): Metzler Komponistenlexikon. Metzler, Stuttgart/Weimar 1992, S. 154–156, hier 155f.
↑Wolfgang Hochstein: Die Messe. In: Ders. (Hrsg.): Geistliche Vokalmusik des Barock. Teilband 1. Laaber-Verlag, Laaber 2019 (= Handbuch der Musik des Barock, Band 2/1), ISBN 978-3-89007-872-4, S. 133–182, hier 159ff.
↑Elisabeth Schmierer: Charpentier, Marc-Antoine. In: Horst Weber (Hrsg.): Metzler Komponistenlexikon. Metzler, Stuttgart/Weimar 1992, S. 154–156, hier 155.
↑Werner Braun: Die Musik des 17. Jahrhunderts. Athenaion, Wiesbaden 1981 (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Band 4), ISBN 3-7997-0746-8, S. 102.