Als Virophagen[A. 1] klassifiziert man nicht-taxonomisch einen speziellen Typ vergleichsweise großer Satellitenviren aus dem PhylumPreplasmiviricota, die sich nur in Co-Infektion mit Riesenviren des Phylums Nucleocytoviricota (NCLDVs) als Helferviren in eukaryotischenWirtszellen replizieren können.
Virophagen replizieren (anders als die Begriffliche Anlehnung an Bakteriophagen nahelegen könnte) nicht „in“ anderen Viren, sondern nutzen als Satellitenviren den Syntheseapparat der Helferviren – und treten dabei in eine Konkurrenz zu ihnen.[1][2]
Dabei werden Genprodukte des Helfervirus genutzt, die sonst nur bei eukaryotischen Zellen (Eucyten) die Proteinsynthese ermöglichen, daher werden die Helferviren der Virophagen auch Mamaviren[A. 2] genannt.
In der Regel wird die Proteinsynthese des Mamavirus dabei mehr oder weniger beeinträchtigt.[3][4]
Virophagen sind daher (bzgl. der Mamaviren) parasitäre Satellitenviren. Daher werden die Helfer- oder Mamaviren auch als „virale Wirte“, die co-infizierten Eucyten zur Abgrenzung dann auch als „zelluläre Wirte“ bezeichnet.
Virophagen sind sowohl bzgl. ihrer Kapsidgröße als auch bzgl. ihres Genoms viel kleiner als ihre Riesenviren-Wirte, aber andererseits viel größer als gewöhnliche Satellitenviren, deren Helferviren ja ebenfalls kleiner als die Riesenviren der NCLDV sind.
Mavirus mit einer einzigen Spezies Mavirus cafeteriae – diese parasitieren Mamaviren der Aliimimivirinae (Mimiviridae der Gruppe II).
Ordnung Divpevirales
Oviruvirus: Pansen-Virophagen, sheep rumen virophages, RVPs, mit der einzigen Spezies Oviruvirus palmerstonense (Schafspansen-Hybrid-Virophage, en. Sheep Rumen hybrid virophage, SRHV)[6][7]
Ordnung Priklausovirales
Burquivirus mit der einzigen Spezies Burquivirus flavolapense (Yellowstone Lake virophage 5, YSLV5)
Essdubovirus mit der einzigen Spezies Essdubovirus chlorellae (Chlorella virophage isolate SW01 aus dem Dishui Lake, China)
Invirovirus mit der einzigen Spezies Invirovirus crochense (Lake Croche Virophage IMG_VR_1276)
Panaquavirovirus mit der einzigen Spezies Panaquavirovirus qinghaense (Qinghai Lake virophage, QLV, Fundort von QLV ist der Qinghai-See)[8]
Die ersten beiden Gattungen gingen aus der früheren Familie Lavidaviridae hervor, die anderen kamen am 30. April 2024 hinzu.
Es gibt jedoch – meist aus der Metagenomik – viele weitere Hinweise und Vorschläge zu Virophagen der Maveriviricetes (bzw. Lavidaviridae in älteren Arbeiten); einen Überblick über die Virophagen geben beispielsweise Zhou et al. (2013),[9] Gong et al. (2016),[10] und Chen et al. (2018):[11]
Der Replikationszyklus der Virophagen[A. 10] unterscheidet sich grundlegend von dem gewöhnlicher Satellitenviren.
Normalerweise initiiert ein Satellitenvirus die Expression und Replikation seines Genoms im Zellkern der Wirtszelle mit Hilfe seiner dortigen Maschinerie und geht dann in das Zytoplasma. Dort findet es die Morphogenese-Maschinerie seines Helfervirus, mit der dieses seine Virionen (Virusteilchen) zusammenbaut (Assembly). Diese wird vom Satellitenvirus gekapert, um seine eigenen Nachkommen zu produzieren.[5]
Bei den Virophagen der Familie Lavidaviridae wird angenommen, dass die Replikation der Virophagen vollständig in der Virusfabrik des Riesenvirus-Wirts stattfindet und daher vom Expressions- und Replikationskomplex des Riesenvirus abhängt.[5] Wenn die Wirtszelle nur vom Riesenvirus infiziert wird, baut dieses im Zytoplasma eine Virusfabrik (VF) auf, um sich zu replizieren und neue Virionen zu erzeugen. Die Wirtszelle wird am Ende seines Replikationszyklus gewöhnlich lysiert, d. h. unter Freisetzung der Virus-Nachkommenschaft zum Platzen gebracht und so zerstört.[5]
Wenn die Wirtszelle mit einem Riesenvirus und einem Virophagen koinfiziert ist, parasitiert letzterer in der Virusfabrik des Riesenvirus. Die Anwesenheit von Virophagen kann die Infektiosität des Riesenvirus daher ernsthaft beeinträchtigen, indem sie seine Replikationseffizienz verringert und damit indirekt das Überleben der Wirtszelle erhöht.[5]
Die Virophagen der Riesenviren sind im Vergleich zu Satellitenviren anderer Helferviren ebenfalls vergleichsweise riesig und haben auch ein komplexeres Genom.[22]
Provirophagen
Ein Sonderfall ist, wenn sich der Virophage als „Provirophage“ in das Genom des Mamavirus integriert. Sowohl die Virophagen (als Mitglieder der Preplasmiviricota), als auch die Mamaviren (als Riesenviren Mitglieder der Nucleocytoviricota) sind dsDNA-Viren. Der Provirophage wird während der Replikation des Riesenvirus exprimiert. Der Virophage wird dann in der Virusfabrik des Riesenvirus produziert und hemmt die Replikation des Riesenvirus, wodurch wieder das Überleben der Wirtszelle erhöht wird – Abbildung oben, Teil (C). Ein Beispiel ist Sputnik 2, der sich in das Genom seines viralen Wirts, einem Mimivirus, integrieren kann.[5]
Defektive interferierende Viren
In der Funktionsweise ähnlich sind DIVs („Defektive interferierende Viren“, englischdefective interfering viruses, auch defective interfering particles, DIPs). Dies sind natürlich entstandene oder künstlich erzeugte defektive Abarten eines Virus-Wildtyps, die den Wildtyp als Helfervirus benötigen und wie Parasiten dessen Replikation stören können.[26]
Christelle Desnues, Bernard La Scola, Natalya Yutin, Ghislain Fournous, Catherine Robert, Saïd Azza, Priscilla Jardot, Sonia Monteil, Angélique Campocasso, Eugene V. Koonin, Didier Raoult: Provirophages and transpovirons as the diverse mobilome of giant viruses. In: PNAS. Band 109, Nr. 44, 30. Oktober 2012, S. 18078–18083; doi:10.1073/pnas.1208835109 (englisch).
Graziele Oliveira, Bernard La Scola, Jônatas Abrahão: Giant virus vs amoeba: fight for supremacy. In: Virology Journal. Band 16, Nr. 1, Artikel 126, veröffentlicht: 4. November 2019; doi:10.1186/s12985-019-1244-3 (Volltext, PDF auf: researchgate.net, englisch).
David Paez-Espino, Jinglie Zhou, Simon Roux, et al.: Diversity, evolution, and classification of virophages uncovered through global metagenomics. In: Microbiome. Band 7, Nr. 157, 10. Dezember 2019; doi:10.1186/s40168-019-0768-5 (englisch).
Anmerkungen
↑Singular: Virophage, der; von lat.virus, -i, n. „Gift, Saft, Schleim“ und altgriechischφαγεῖνphageín, „fressen“, Virophage bedeutst also „Viren-Esser“
↑Die DSL-Virophagen parasitieren offenbar Phycodnaviridae (Dishui Lake phycodnaviruses, DSLPVs) und Mimiviridae (sic!, Dishui Lake large alga viruses, DSLLAVs, daher ist Mimiwiridae wohl s. l. zu verstehen und es handelt sich vermutlich um Algen-infizierende Imitervirales), Fundort Dishui Lake
↑Die YSLVs sind zu unterscheiden von ihren mutmaßlichen Wirten „Yellowstone Lake Phycodnavirus“ (YSLPV) alias „Yellowstone Lake Mimivirus“ oder „Yellowstone Lake Giant Virus“ (YSLGV), Fundort: Yellowstone Lake
↑
Ulrich Kuhnt: Sind Viren Lebewesen?. Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie: Archiv Biologie. Memento im Webarchiv vom 21. Januar 2018.
↑ ab
La Scola et al.: The virophage as a unique parasite of the giant mimivirus. In: Nature. Band 455, 4. September 2008, S. 100–105; doi:10.1038/nature07218 (englisch).
↑ abcdefghij
Said Mougari, Dehia Sahmi-Bounsiar, Anthony Levasseur, Philippe Colson, Bernard La Scola: Virophages of Giant Viruses: An Update at Eleven. In: Viruses. Band11, Nr.8, 2019, ISSN1999-4915, S.733, doi:10.3390/v11080733, PMID 31398856, PMC 6723459 (freier Volltext) – (englisch).
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Seungdae Oh, Dongwan Yoo, Wen-Tso Liu: Metagenomics Reveals a Novel Virophage Population in a Tibetan Mountain Lake. In: Microbes and Environments. Band31, Nr.2, Juni 2016, ISSN1342-6311, S.173–177, doi:10.1264/jsme2.ME16003, PMID 27151658, PMC 4912154 (freier Volltext) – (englisch).
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Jinglie Zhou, Weijia Zhang, Shuling Yan et al.: Diversity of Virophages in Metagenomic Data Sets. In: Journal of Virology. Band87, Nr.8, Februar 2013, S.4225–4236, doi:10.1128/JVI.03398-12, PMID 23408616 (englisch).
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Chaowen Gong, Weijia Zhang, Xuewen Zhou, Hongming Wang et al.: Novel Virophages Discovered in a Freshwater Lake in China. In: Frontiers in Microbiology. Band7, 22. Januar 2016, ISSN1664-302X, doi:10.3389/fmicb.2016.00005, PMID 26834726 (englisch).
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Clara Rolland, Julien Andreani, Amina Cherif Louazani, Sarah Aherfi, Rania Francis, Rodrigo Rodrigues, Ludmila Santos Silva, Dehia Sahmi, Said Mougari, Nisrine Chelkha, Meriem Bekliz, Lorena Silva, Felipe Assis, Fábio Dornas, Jacques Yaacoub Bou Khalil, Isabelle Pagnier, Christelle Desnues, Anthony Levasseur, Philippe Colson, Jônatas Abrahão, Bernard La Scola: Discovery and Further Studies on Giant Viruses at the IHU Mediterranee Infection That Modified the Perception of the Virosphere. In: MDPI Viruses. Band11, 4 (März/April), 2019, ISSN1999-4915, S.312, doi:10.3390/v11040312, PMID 30935049, PMC 6520786 (freier Volltext).
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