Amt für Verfassungsschutz ThüringenDas Amt für Verfassungsschutz Thüringen (AfV) ist seit dem 1. Januar 2015 als Abteilung des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales der Verfassungsschutz des Freistaates Thüringen. Von 1991 bis Ende 2014 war dieser als Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) eine eigenständige obere Landesbehörde. Es nutzt für seine Aufgaben nachrichtendienstliche Mittel. AuftragAufgabe des Amtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen. AufbauDem Präsidenten als Leiter des Amtes unterstehen folgende Organisationseinheiten:
Der Thüringer Verfassungsschutz verfügte im Haushaltsjahr 2023 über 105 Stellen und Planstellen. Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch das Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 8.500.100 Euro zugewiesen.[1] Etat des ehemaligen Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz:[2][3][4][5][6][7][8][9] Leitung des AmtesAm 2. September 1992 ordnete Ministerpräsident Bernhard Vogel an, dass der Behördenleiter die Amtsbezeichnung „Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz“ führt.[10]
RechtsgrundlageRechtsgrundlage der Arbeit des AfV ist das Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVerfSchG) vom 8. August 2014 (GVBl. 2014, 529).[17] KontrolleDie Arbeit in den Referaten im AfV unterliegt der fortlaufenden Kontrolle durch die Stabsstelle Controlling, die unmittelbar dem Präsidenten unterstellt ist. Eine parlamentarische Überwachung erfolgt durch Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags durch den Minister sowie die sogenannte G10-Kommission. In besonderen Fällen kann die Parlamentarische Kontrollkommission auch die direkte Berichterstattung durch die Stabsstelle Controlling verlangen. Bekannte V-Leute
Im März 2015 beschloss die rot-rot-grüne Landesregierung, alle V-Leute des Amts für Verfassungsschutz abzuschalten.[29] Dabei gibt es aber Ausnahmen für konkrete terroristische Bedrohungen, auf die sich Ministerpräsident und Innenminister mit Absprache der parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags einigen können; 2015 gab es keine V-Leute mehr in der rechten Szene, aber bei Salafisten und im Umfeld der kurdischen PKK.[30] AffärenDie Mitte der 1990er Jahre im Raum Coburg gegründete „Fränkische Heimatschutz“ wurde von einem V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes geleitet.[31] Ende der 1990er Jahre führte das Landesamt mit beträchtlichem finanziellen Aufwand zahlreiche V-Leute in der rechtsextremen Szene (siehe auch die aufwändige, aber ineffektive „Operation Rennsteig“). Einer der V-Leute, Tino Brandt, leitete den Thüringer Heimatschutz, aus dem heraus 1998 nach einigen geplanten Sprengstoffanschlägen drei Mitglieder die terroristische Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bildeten, nämlich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Der NSU verübte 2000 bis 2006 eine Mordserie an neun Migranten. Außer den hinrichtungsartigen Morden begingen Mundlos und Böhnhardt drei Bombenanschläge, darunter den Nagelbombenanschlag in Köln, und 15 Banküberfälle (siehe Verbrechen des NSU). Noch während des Untertauchens hielt Brandt Kontakt zum NSU-Trio und erhielt 1998 den Auftrag des Landesamtes, gegen eine Sondervergütung an das NSU-Trio heranzukommen; unter anderem erhielt er Geld, das er dem NSU-Trio für gefälschte Reisepässe zukommen lassen sollte. Bei einem Telefonat Brandts mit dem NSU im März 1999 versäumte es das Landesamt für Verfassungsschutz, das Gespräch mitzuhören und das Landeskriminalamt zu informieren. Bis 2001 erhielt das Landesamt insgesamt 47 Quellenhinweise zum NSU-Trio, die meisten davon lieferte Brandt, es konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, ob einer der V-Leute Kenntnis der Taten oder auch nur des Aufenthaltsorts hatte. Der NSU-Experte Tanjev Schultz urteilte 2018, das Landesamt habe seine vielen Spitzel in der rechten Szene schlecht genutzt; es sei in der Behörde „drunter und drüber“ gegangen.[32] Die nachrichtendienstliche Überwachung des heutigen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow begann ebenfalls unter Roewer in den 1990er Jahren. Die Überwachung des Parlamentariers durch das Landesamt wurde seitens des Innenministeriums auf Drängen Ramelows später eingestellt und durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vom Bundesverfassungsgericht im Oktober 2013 für verfassungswidrig befunden. Im Auftrag des thüringischen Innenministers Christian Köckert (CDU) untersuchte der ehemalige hessische Justizstaatssekretär Karl Heinz Gasser (CDU) im Jahr 2000 die Amtsführung des damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Helmut Roewer. Gasser stellte gravierende Fehler bei Personalwahl, -struktur und -führung fest, so dass er die Neuausrichtung des Landesamtes in den Jahren 1994 bis 1999 als misslungen bezeichnete. Die Einstellung von jungen Hochschulabsolventen als Führungskräften führte zu ständigem Streit zwischen altgedienten Geheimdienstlern und ihren neuen Vorgesetzten. So wurde ein Beamter, der eine Entscheidung seines Chefs als unsinnig kritisierte, von Roewer kurz darauf verpflichtet, stündlich einen schriftlichen Bericht über seine Arbeit abzugeben. Eine Fachaufsicht durch das Innenministerium war praktisch jahrelang ausgeschaltet, da Roewer darauf bestand, ausschließlich Köckerts Vorgänger Richard Dewes (SPD) zu berichten, ohne dass das zuständige Aufsichtsreferat über den Inhalt der Gespräche informiert wurde. Auch Dewes Nachfolger Köckert habe trotz eines Brandbriefes des Personalrats nicht auf die chaotische Situation in Roewers Behörde reagiert.[33] Der Bericht blieb zunächst Verschlusssache, Roewer wurde aber im gleichen Jahr aufgrund einer Veruntreuungsaffäre um die Tarnfirma Heron-Verlag suspendiert. Erst als Roewer im Zuge der NSU-Affäre wieder ins öffentliche Interesse rückte, gelangte der Gasser-Bericht in die Medien. Der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss hält behördliche Sabotage beim Informationsaustausch zwischen dem Thüringer Verfassungsschutz und dem LKA für möglich. So sollen V-Leute vor anstehenden polizeilichen Durchsuchungen in der rechten Szene gewarnt worden sein.[34] Wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gab es im März 2012 mehrere umfangreiche Hausdurchsuchungen bei ehemaligen V-Leuten des Thüringer Verfassungsschutzes; unter den Beschuldigten befindet sich auch Brandt.[35] Die AfD Thüringen strengte im Jahr 2019 aufgrund der durch das Thüringer AfV öffentlich verkündeten Einstufung der Partei als Prüffall ein Organstreitverfahren vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof an. Noch vor der mündlichen Verhandlung wurde der Presse eine E-Mail des damaligen Referatsleiters für Rechtsextremismus zugespielt, in der er mitteilt, dass bei der Einstufung der AfD als Prüffall das fachlich zuständige Referat für Rechtsextremismus auf ausdrückliche Weisung des Präsidenten des AfV Kramer übergangen worden sein soll.[36] Kramer ignorierte zudem weitere seiner eigenen Mitarbeiter, die ihm zuvor von einer Verkündung eines Prüffalles abgeraten hatten.[37] Im Jahr 2021 urteilte das Verwaltungsgericht Weimar, dass der Präsident des Amts für Verfassungsschutz mit der öffentlichen Verkündung des Prüffalls gegen die Verfassung verstoßen hat.[38] Cicero berichtete, dass aus einer gegen Kramer gerichteten Dienstaufsichtsbeschwerde hervorgehe, dass die Einstufung der AfD Thüringen als „Prüffall“ ohne Beteiligung des eigentlich dafür zuständigen Fachbereichs stattgefunden habe. Als der Verfassungsschutz Thüringen die AfD später als „erwiesen rechtsextrem“ hochgestuft habe, habe Kramer außerdem ein „Ergänzungsgutachten“, das die Hochstufung rechtlich problematisierte, unberücksichtigt gelassen.[37] Abgeordnete von CDU und AfD forderten 2021 die sofortige Entlassung des Präsidenten des AfV wegen fehlender politischer Neutralität, nachdem er Hans-Georg Maaßen die Verwendung „antisemitischer Stereotype“ vorwarf.[39] Weblinks
Einzelnachweise
Koordinaten: 50° 56′ 55,5″ N, 11° 5′ 6,8″ O |