Die äußerlichen Hauptsymptome sind der Kleinwuchs, Thoraxdeformität mit verkürzten Rippen, die Polydaktylie, sowie hypo- oder dysplastische Fingernägel und Zähne. Die Polydaktylie ist an den Händen üblicherweise beidseitig, postaxial (Außen) auf der ulnaren Seite. Bei etwa 10 % der Patienten sind auch die Füße von der Polydaktylie betroffen. Häufig ist zwischen der Großzehe (Hallux) und der zweiten Zehe ein größerer Zwischenraum.[2] Die Extremitäten wirken meist plump. Die mesomele (mittlere Anteile, das heißt Unterarm beziehungsweise -schenkel) und akromele (distale Anteile, das heißt Finger beziehungsweise Zehen) Verkürzung der Gliedmaßen ist sehr häufig. Sehr oft können die Patienten die Hand nicht zu einer Faust ballen.[3][4]
Bei etwa 60 % der Patienten liegt ein Herzfehler, meist in Form eines Atriumseptumdefektes (ASD), vor. Die kognitive und motorische Entwicklung verläuft dagegen normal.[1]
Häufigkeit
Die weltweite Häufigkeit des Ellis-van-Creveld-Syndroms wird bei Neugeborenen auf etwa 1 : 60.000[5] bis 1 : 200.000 geschätzt. In einigen Populationen tritt es signifikant häufiger auf. So beispielsweise in der Gemeinschaft der Amischen in Lancaster County (Pennsylvania) und den Aborigines in Westaustralien.[6] Bei den Amischen in Lancaster County liegt die Prävalenz bei etwa 1 : 5000 pro Neugeburt.[4] Dort wurden bis zum Jahr 2000 insgesamt 52 Fälle in 30 Sippschaften berichtet.[7]
Weltweit gab es im Jahr 2007 etwa 150 dokumentierte Fälle von EVC.[1] Andere Quellen berichten von 300 Fällen im Jahr 1998.[4][8]
Genetik und Pathologie
Das Ellis-van-Creveld-Syndrom wird autosomal-rezessiv vererbt. Die Ursache sind Mutationen in den Genen EVC1 (auch EVC genannt) und EVC2. Die beiden Gene liegen beim Menschen auf Chromosom 4, „Kopf an Kopf“ auf dem Genlocus p16. Andere genetische Faktoren scheinen ebenfalls einen Einfluss auf die Krankheit zu haben.
Das EVC-Gen wurde 1995 zunächst auf dem kurzen Arm von Chromosom 4 gefunden.[9][9] Dies ist ein Gebiet, in dem auch andere kongenitale Chondrodystrophien ihren Ursprung haben. Mutationen in diesem Gen konnten bei EVC-Patienten in Lancaster County sowie Mittel- und Südamerika gefunden werden.[10] Allerdings konnte bei einem Screening von 58 EVC-Patienten nur bei 13 eine homozygote Mutation im EVC-Gen lokalisiert werden. Bei den restlichen 45 Patienten lag keine Mutation in einem oder beiden Allelen vor.[11] Ein zweites Gen wurde bei diesen Patienten als Auslöser des Ellis-van-Creveld-Syndroms identifiziert: EVC2. Es liegt ebenfalls auf Chromosom 4, „Kopf an Kopf“ in unmittelbarer Nachbarschaft zu EVC1.[12]
Die beiden Gene sind durch lediglich 2,6 kB getrennt.[13]EVC2 ist 166,4 kB lang und teilt mit EVC1 eine gemeinsame Promotor-Region, während die beiden Sequenzen keine signifikanten Sequenzübereinstimmungen aufweisen – weder auf Protein- noch auf Nukleinlevel. Dennoch lässt sich der Phänotyp beim Ellis-van-Creveld-Syndrom nicht anhand des mutierten Gens – EVC1 oder EVC2 – unterscheiden.[11]
Bei der Sequenzierung von EVC1 und EVC2 bei 65 Patienten mit Ellis-van-Creveld-Syndrom wurde in 20 Fällen eine EVC1-Mutation (31 %) in beiden Allelen und in 25 Fällen eine EVC2-Mutation (38 %) gefunden. Bei letzteren waren in 22 Fällen beide Allele betroffen und in 3 nur ein Allel. In der Mehrzahl aller Fälle ist ein falsch gesetztes Stopcodon der Auslöser der Krankheit. Bei den restlichen 20 Patienten (31 %) wurde in keinem der beiden Gene eine Mutation gefunden. Es wird daher vermutet, dass das Ellis-van-Creveld-Syndrom eine heterogene genetische Erkrankung ist.[13] Heterozygote Mutationen in EVC1 oder EVC2 lösen auch die Akrofaziale Dysostose Typ Weyers (Knochenbildungsstörung der Hände und des Gesichts), aus, das allerdings autosomal-dominant vererbt wird.[1] Auch dass in einigen Fällen heterozygote Merkmalsträger erkranken können – diese Patienten haben nur ein defektes EVC1- oder EVC2-Gen in jeder Körperzelle – spricht für eine komplexe Genetik, in der möglicherweise noch weitere Mutationen in anderen Genen eine Rolle spielen.[6]
Diagnosesicherheit bietet ein Gentest auf EVC[16] beziehungsweise EVC2[17].
Therapie
Das Ellis-van-Creveld-Syndrom ist derzeit nicht heilbar.
Die Patienten brauchen schon ab der Geburt eine multidisziplinäre fachärztliche Betreuung. Der enge Thorax verursacht in vielen Fällen Atemprobleme. Mögliche Herzfehler müssen überwacht und symptomatisch behandelt werden. Die Knochendeformationen erfordern eine regelmäßige orthopädische Kontrolle. Die Zähne bedürfen einer fachzahnärztlichen Betreuung.[1] Für das perioperative / anästhesiologische Management sind aktuelle Handlungsempfehlungen erschienen (Eintrag bei OrphanAnesthesia).[18]
Prognose
Die Prognose wird in den ersten Lebensmonaten durch die wegen des verengten Thorax eingeschränkte Atmung bestimmt. Später sind etwaige Herzfehler der wesentliche prognostische Faktor. Die adulte Körpergröße ist nur schwer vorauszusagen.[1]
Erstbeschreibung
1940 beschrieben die beiden Pädiater Richard Ellis (1902–1966) und Simon van Creveld (1894–1971) bei drei Patienten erstmals ein Syndrom,[19] das später nach den beiden Erstbeschreibern benannt wurde.[20] Das Syndrom wurde teilweise bereits in einigen früheren Veröffentlichungen beschrieben.[21] Ellis und van Creveld definierten es jedoch als erste.
Weiterführende Literatur
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K. Hegde, R. M. Puthran u. a.: Ellis van Creveld syndrome–a report of two siblings. In: BMJ Case Reports. 2011 doi:10.1136/bcr.09.2011.4774
M. Weber, A. Kaufmann u. a.: Orthopädische Probleme beim Ellis-van-Creveld-Syndrom. In: Monatsschrift Kinderheilkunde. Band 149, Nummer 1, 2001, S. 51–57. doi:10.1007/s001120050724
↑S. Al-Khenaizan, N. Al-Sannaa, A. S. Teebi: What syndrome is this? Chondroectodermal dysplasia–the Ellis-van Creveld syndrome. In: Pediatric Dermatology. Band 18, Nummer 1, 2001 Jan-Feb, S. 68–70, ISSN0736-8046. PMID 11207979.
↑R. W. Ellis, J. D. Andrew: Chondroectodermal dysplasia. In: J Bone Joint Surg. Band 44, 1962, S. 626–636.
↑K. M. Zangwill, D. K. Boal, R. L. Ladda: Dandy-Walker malformation in Ellis-van Creveld syndrome. In: American journal of medical genetics. Band 31, Nummer 1, September 1988, S. 123–129, ISSN0148-7299. doi:10.1002/ajmg.1320310114. PMID 3223493.
↑ abM. H. Polymeropoulos, S. E. Ide u. a.: The gene for the Ellis-van Creveld syndrome is located on chromosome 4p16. In: Genomics. Band 35, Nummer 1, Juli 1996, S. 1–5, ISSN0888-7543. doi:10.1006/geno.1996.0315. PMID 8661097.
↑V. L. Ruiz-Perez, S. E. Ide u. a.: Mutations in a new gene in Ellis-van Creveld syndrome and Weyers acrodental dysostosis. In: Nature genetics. Band 24, Nummer 3, März 2000, S. 283–286, ISSN1061-4036. doi:10.1038/73508. PMID 10700184.
↑M. Galdzicka, S. Patnala u. a.: A new gene, EVC2, is mutated in Ellis-van Creveld syndrome. In: Molecular Genetics and Metabolism. Band 77, Nummer 4, Dezember 2002, S. 291–295, ISSN1096-7192. PMID 12468274.
↑ abS. W. Tompson, V. L. Ruiz-Perez u. a.: Sequencing EVC and EVC2 identifies mutations in two-thirds of Ellis-van Creveld syndrome patients. In: Human genetics. Band 120, Nummer 5, Januar 2007, S. 663–670, ISSN0340-6717. doi:10.1007/s00439-006-0237-7. PMID 17024374.
↑Bernfried Leiber (Begründer): Die klinischen Syndrome. Syndrome, Sequenzen und Symptomenkomplexe. Hrsg.: G. Burg, J. Kunze, D. Pongratz, P. G. Scheurlen, A. Schinzel, J. Spranger. 7., völlig neu bearb. Auflage. Band2: Symptome. Urban & Schwarzenberg, München u. a. 1990, ISBN 3-541-01727-9.
↑F. Hefti: Kinderorthopädie in der Praxis. Springer 1998, ISBN 3-540-61480-X, Seite 654
↑R. W. Ellis, S. van Creveld: A Syndrome Characterized by Ectodermal Dysplasia, Polydactyly, Chondro-Dysplasia and Congenital Morbus Cordis: Report of Three Cases. In: Archives of disease in childhood. Band 15, Nummer 82, 1940, S. 65–84, ISSN0003-9888. PMID 21032169. PMC 1987729 (freier Volltext).
↑M. Atasu, S. Biren: Ellis-van Creveld syndrome: dental, clinical, genetic and dermatoglyphic findings of a case. In: The Journal of clinical pediatric dentistry. Band 24, Nummer 2, 2000, S. 141–145, ISSN1053-4628. PMID 11314324. (Review).
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