Martin Hermann Böttcher (* 17. Juni1927 in Berlin; † 20. April2019 in Westerrönfeld[1]; Pseudonyme: Michael Thomas, Renardo) war ein deutscher Filmkomponist, Dirigent und Arrangeur. In einem Zeitraum von über 60 Jahren verfasste er die Musik zu mehr als 50 Kinofilmen und 300 Fernsehproduktionen. Große Bekanntheit und Charterfolge erlangte Böttcher in den 1960er-Jahren durch seine Musik zu den Karl-May-Verfilmungen.[2]
Martin Böttcher ist Urenkel eines WeimarerHofkapellmeisters und erwarb schon früh durch Klavierunterricht musikalische Kenntnisse. Zunächst wollte er indes Pilot werden. Knapp 17 Jahre alt, wurde er im Krieg bei der Luftwaffe ausgebildet. Zu einem Einsatz kam es aber aus Mangel an Treibstoff nicht mehr. Während der Kriegsgefangenschaft gelang es Böttcher, eine Gitarre zu organisieren und autodidaktisch das Gitarrenspiel zu erlernen. Wegen eines Unfalls mit Schädelbasisbruch und Gehörnerv-Quetschung war Martin Böttcher seit seinem vierten Lebensjahr auf dem linken Ohr taub.[3][4]
Seine bevorzugte Musikgattung war zunächst der Jazz, wo es Martin Böttcher schaffte, als Gitarrist zur Nummer 2 beim deutschen Jazz-Poll aufzusteigen. Schon in dieser Zeit sammelte er Erfahrungen als Arrangeur bei Filmkomponisten wie Michael Jary oder Hans-Martin Majewski, für den er Teile der Musik zum Film Liebe 47 arrangierte.
Arbeit für den Film
Bereits ab 1946 schrieb Böttcher Arrangements. 1954 nahm er Abschied vom NWDR und wechselte vom Notenpult zum Skizzenpapier. Dank Produzent Artur Brauner debütierte Böttcher 1955 mit der Musik zur Militärsatire Der Hauptmann und sein Held. Seine zweite Filmmusik schrieb er zu einem Meilenstein des deutschen Films der Nachkriegszeit: Die Halbstarken (1956) von Georg Tressler, in der Hauptrolle Horst Buchholz. Es spielte seine eigens hierfür gegründete Formation Mister Martin’s Band, in der Musiker wie der Klarinettist Fatty George, der VibraphonistBill Grah, der Posaunist Ernst Mosch und, noch als „Hans Last“, der Bassist James Last mitwirkten.
Im Jahr 1967 produzierte Oswalt Kolle den ersten AufklärungsfilmOswalt Kolle: Das Wunder der Liebe in Deutschland. Martin Böttcher wurde mit der Komposition der Musikuntermalung beauftragt. Die Titel lehnte dann der wissenschaftliche Berater des Films, der Sexualforscher Hans Giese, als „nicht unterkühlt genug“ ab (er befürchtete, dass sich das männliche Publikum zu unzüchtigen Handlungen hinreißen lassen könnte). Die Musik ging aber nicht verloren. Kolle verwendete sie als Hintergrundmusik für seine Hörplatte Das Wunder der Liebe, und das Titelthema Wonderland of Love wurde ein oft verwendeter Titel auf Sampler-Platten von Martin Böttcher.
Anfang der 1960er Jahre beauftragte der Rialto-Film-Chef Horst Wendlandt den Komponisten mit Filmmusiken für seine Edgar-Wallace-Reihe. Mit seiner Musik für die ebenfalls zu jener Zeit von Rialto Film produzierten Karl-May-Verfilmungen avancierte Martin Böttcher in den 1960er Jahren zum erfolgreichsten deutschen Filmkomponisten.
Zu insgesamt zehn Karl-May-Kinofilmen komponierte er die Musik, außerdem in den 1970er Jahren zur 26-teiligen ZDF-Karl-May-Serie Kara Ben Nemsi Effendi. „An dem Erfolg des Films ist zur Hälfte die Musik beteiligt“, schrieb ein Kritiker nach der Uraufführung von Der Schatz im Silbersee. Die Musikstücke werden als Medley in den 1970er und 1980er Jahren mehrfach in den damals populären Musik- und Galashows des Fernsehens wie Musik ist Trumpf gespielt und zu dieser Zeit erstmals auf Samplern herausgebracht. Auch heute noch ist die Karl-May-Filmmusik erfolgreich und wird immer wieder in Coverversionen oder auf CDs herausgegeben.
„Für mich war es eine besonders schöne Zeit, als ich die Musik zum Schatz im Silbersee und all den anderen Filmen komponieren durfte. Es hat wahnsinnig viel Freude gemacht – nicht nur, weil mir die Melodien so viel Erfolg brachten, sondern weil die Filme meiner Mentalität entgegenkamen. Das Grundmotiv war die Freiheit und die Ungebundenheit des Menschen. Ich musste nicht lange überlegen, bis mir die passenden Noten einfielen, die Musik kam aus dem Bauch. Vielleicht ist sie gerade deshalb so ein Erfolg geworden.“
– Martin Böttcher: Zitat aus Michael Petzel: Karl-May-Filmbuch
Musik für das Fernsehen
Mit dem Kinosterben Ende der 1960er Jahre verlegte Martin Böttcher seinen Wirkungskreis verstärkt auf das Fernsehen. So ertönte in der allerersten Krimiserie, die im frisch gegründeten ZDF lief, Das Kriminalmuseum, als Titelmelodie eine Böttcher-Komposition. Es folgten in den 1960er Jahren die Serien Gertrud Stranitzki und Ida Rogalski mit Inge Meysel und in den 1970er Jahren eine Vielzahl weiterer Musiken, wie die zur Krimiserie Sonderdezernat K1, 1977 zu 13 Teilen der Serie Es muß nicht immer Kaviar sein mit Siegfried Rauch, 1994 zu 26 Teilen der Serie Air Albatross oder für diverse Episoden von Der Alte und Derrick, z. B. die Salzburg-Melodie aus der Derrick-Episode Ein Koffer aus Salzburg von 1975. Böttcher komponierte seither regelmäßig für Fernsehserien, zuletzt für Pfarrer Braun mit Ottfried Fischer. Insgesamt schrieb Böttcher die Musik zu 56 Spielfilmen und rund 400 Fernsehspielen und -serien.
Die deutsche Gruppe Superboys erreichte am 12. September 1998 den ersten Platz in der ZDF-Hitparade mit einer Adaption der Winnetou-Melodie unter dem Titel Wish U Were Here – wünscht’, Du wärst bei mir. In Tschechien erhielt im März 2000 eine Coverversion mit dem Titel Vinetů der Gruppe Těžkej Pokondr aus dem Album Vypusťte Krakena Doppel-Platin. Ein weiterer Erfolgstitel der Gruppe war der Titel Vontové, eine Gesangsfassung der Old-Shatterhand-Melodie auf dem Album Ježek v peci.
Privates
Martin Böttcher war mit der Schauspielerin Anneliese Kaplan verheiratet. Das Ehepaar lebte wie viele Prominente lange Jahre in Lugano (Schweiz). In den letzten Lebensjahren wohnte man aufgrund aufkommender altersbedingter gesundheitlicher Einschränkungen in einem Haus in Westerrönfeld in Schleswig-Holstein in der Nähe der Tochter.[8] Die Böttchers waren 64 Jahre verheiratet, hatten zwei Töchter. Eine Tochter starb 1991 im Alter von 26 Jahren an Leukämie. Martin Böttcher wurde auf dem Friedhof Westerrönfeld beigesetzt.[9]
Auszeichnungen
Die amerikanische Max Steiner Society verlieh Böttcher 1979 die Ehrenmitgliedschaft für seine Einspielungen von Steiners berühmten Filmmelodien Tara’s Theme und Theme from ‚A Summerplace‘
Auf dem Karl-May-Fest 1994 in Bad Segeberg erhielt Martin Böttcher den Scharlih, die älteste und bekannteste Auszeichnung, die mit dem Namen Karl Mays verbunden ist.
Während eines weiteren Karl-May-Festes (vom 25. bis 27. Juli 1997) wurde er mit einem „Special Award“ der Schacht-Musikverlage ausgezeichnet.
Am 25. Januar 2004 erhielt Böttcher in St. Moritz das Bundesverdienstkreuz am Bande für sein Lebenswerk. Die Auszeichnung überreichte der deutsche Botschafter in der Schweiz, Frank Elbe (Bild).
Am 28. Mai 2009 wurde Martin Böttcher in Berlin anlässlich des erstmals verliehenen Deutschen Musikautorenpreises in der Sparte „Komposition Filmmusik“ ausgezeichnet.
Am 27. Juni 2013 wurde Martin Böttcher in München als erster deutscher Filmkomponist mit dem „Look & Listen – Telepool-BR-Music-Award“ ausgezeichnet.
Martin Böttcher hat unter anderem für nachfolgende Fernsehserien und -produktionen entweder die Titelmusik geschrieben und/oder mehrfach Musik beigesteuert:
Der Alte (Begleitmusik für 15 Folgen; einmal musikalische Leitung)
enthält Eigenkompositionen von Martin Böttcher und Cover-Versionen, die in beiden Filmen gespielt wurden
Martin Böttcher Original-Filmmusik, peermusic, CD 0103
enthält Musik aus Unser Haus in Kamerun, Der Fälscher von London, Straße der Verheißung, Auf Engel schießt man nicht, Musik aus Lufthansa-Werbefilmen und drei Bonus-Tracks
Winnetous Rückkehr, Polydor 557 021-2, Soundtrack zum ZDF-Zweiteiler
Pfarrer Braun und andere …, Colosseum, CST 8092-2, Soundtrack zur ARD-Serie und Musik aus Schöne Ferien und weiteren Fernsehfilmen von Martin Böttcher
Martin Böttcher sound kaleidoscope, Motor Music, 539 107-2, Sampler mit 25 Titeln
„Wilder Westen – Heißer Orient“ – Karl-May-Filmmusik 1936–1968
Bear Family Records BCD 16413 HL – 8 CDs mit 192 Seiten Filmbuch,
enthält 10 Karl-May-Filmmusiken von Martin Böttcher
Karl-May-Melodien (CD, Neuausgabe des LP-Samplers von 1966)
Martin Böttcher – Die großen Film- und TV-Melodien, Warner Music Group, 5050467-3717-2-9, 2CD mit insgesamt 50 Titeln
Mit der zuletzt angeführten Veröffentlichung liegt die erste Doppel-CD mit Böttchers Interpretationen vor. Ihre Besonderheit liegt darin, dass sie nur Musikaufnahmen von ehemaligen Telefunken- oder Teldec-Veröffentlichungen umfasst. Die meisten Originalaufnahmen (viele damals noch in Mono) wurden ursprünglich bei Polydor, Heliodor, London, Ariola und anderen veröffentlicht. Bei Telefunken und Teldec spielte Böttcher diese erneut in überarbeiteter Form ein, teils mit anderem Arrangement und, vor allem, in Stereo. Auf der ersten CD sind 25 Titel aus Kinofilmen aufgenommen (dabei auch Titel von anderen Komponisten), auf der zweiten CD 25 Titel aus Fernsehsendungen und -serien nur von Martin Böttcher.
Auf der dritten vom ZDF initiierten CD unter dem Motto Aus vollem Herzen, auf der Prominente ihre lyrischen Lieblingsstücke vortragen, kann man seit 2005 Martin Böttcher auch als Rezitator erleben. Er liest ein Gedicht von Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach (Der Hörverlag, München, ISBN 3-89940-674-5).
Tief in der Nacht, Francis-Durbridge-Kriminalhörspiel mit Musikuntermalung von Martin Böttcher, Der Audio Verlag, ISBN 3-89813-152-1 (bis auf das Jugendhörspiel Ringgi + Zofi in geheimer Mission[10] das einzige Hörspiel, für das Martin Böttcher Musik schrieb)
Literatur
Reiner Boller: Winnetou-Melodie. Die Martin Böttcher Biographie mit Werkverzeichnis. Mit einem Vorwort von Pierre Brice. Stellfeld, Hallbergmoos 2003, ISBN 3-935192-66-5.
Reiner Boller: Winnetou-Melodie. Martin Böttcher. Die aktualisierte Biographie mit Werkeverzeichnis. Jubiläumsausgabe zum 80. Geburtstag. Verlags-Allianz, Hallbergmoos 2007, ISBN 978-3-938109-16-8.
Reiner Boller: Winnetou-Melodie. Martin Böttcher. Erweiterte Neuausgabe mit Werkeverzeichnis. Erinnerungsausgabe. Verlags-Allianz, Hallbergmoos 2021, ISBN 978-3-938109-16-8.
Karl-Heinz Becker: Martin Böttcher – „Ich bin ein Freund des Klanges und schreibe von der Leber weg, wie ich empfinde.“ In: Filmharmonische Blätter. Jg. 6, Heft 3, Sommer 1986, ISSN0930-3154, S. 36–39.
Jürgen Wölfer: Jazz in Deutschland. Das Lexikon. Alle Musiker und Plattenfirmen von 1920 bis heute. Hannibal, Höfen 2008, ISBN 978-3-85445-274-4.
↑Bayerischer Rundfunk: Martin Böttcher zum 90. Geburtstag: Ein Originalgenie der Filmmusik | BR-Klassik. 14. Juni 2017 (br-klassik.de [abgerufen am 3. Oktober 2018]).
↑Aussage Martin Böttchers in einem Interview auf der DVD zur Serie Das Kriminalmuseum