Schleuder (Waffe)Die Schleuder ist eine Fernwaffe, die von der Urgeschichte bis ins Hochmittelalter weit verbreitet war. Sie besteht in ihrer einfachsten Form aus einem langen Streifen Leder oder Stoff, der in der Mitte eine kleine Ausbuchtung für das Geschoss aufweist. Der Schleuderer nimmt beide Enden der Schleuder in die Hand, legt ein Geschoss in die Ausbuchtung, schwingt die Schleuder, bis sie eine ausreichend hohe Geschwindigkeit erreicht hat, lässt dann das eine Ende los, und das Geschoss fliegt aus der Schleuder. Für die umgangssprachlich oft als Schleuder bezeichnete Y-förmige Waffe mit elastischen, spannbaren Bändern: siehe Zwille. Verwandte und VariantenStockschleuderMan kann die Hebelwirkung der Schleuder verbessern, indem man sie am Ende eines Stabes anbringt. Dies ist die Stockschleuder, Stabschleuder oder Fustibal (lateinisch Fustibalus). Die Stabschleuder wird von dem spätrömischen Militärschriftsteller Vegetius in seiner Abhandlung „De Re Militari“ als übliche Waffe der römischen Armee erwähnt. Die ersten bildlichen Darstellungen finden sich in byzantinischen und mittelalterlichen Werken. Mit der Stabschleuder konnten schwere Steine, aber auch Brandsätze geworfen und nach der Entwicklung von Handgranaten die Reichweite letzterer vergrößert werden. Bola PerdidaDies ist ein Stein, an dem eine Schnur oder ein Riemen befestigt ist – effektiv ein Schleudergeschoss mit daran befestigter Schleuder. Die Bola Perdida – der Name bedeutet verlorene Kugel – ist bei den Tehuelche in Patagonien nachweisbar. KestrosphendoneDas Kestrosphendone (auch Kestrosphendon oder Kestros) war eine Schleuder, mit der kurze, schwere Pfeile verschossen wurden. Der Name setzt sich aus den griechischen Wörtern Kestros (Pfeil) und Sphendon (Schleuder) zusammen. Das Kestrosphendone kam im dritten Makedonisch-Römischen Krieg zum Einsatz. Von Polybios (Historien 27,11) und Titus Livius (Ab urbe condita 42,65) wird es erwähnt, aber nicht genau beschrieben. Das Kestrosphendone wird später nicht mehr erwähnt. Das Aussehen und die genaue Funktionsweise sind nicht klar. Eine mögliche Rekonstruktion ist hier[1] zu sehen. Eine weitere Rekonstruktion ist im Artikel „A new reconstruction of the kestros or cestrosphendone“ nachzulesen (siehe Literaturverzeichnis). In diesem Artikel wird ein nachgebauter Pfeil mit einem Gewicht von 184 Gramm beschrieben. SpeerschleuderAuf einem anderen Prinzip beruht die Speerschleuder (auch bekannt unter dem aztekischen Namen „Atlatl“). Dabei handelte es sich um einen Stab mit einem kleinen Haken am Ende, in den ein Wurfspeer eingelegt wurde. Der Stab vergrößert, wie auch das Schleuderseil, die wirksame Länge des Wurfarmes. Die Schleuder als BelagerungsmaschineDie Blide ist eine Belagerungsmaschine, deren Prinzip dem der Stabschleuder ähnelt. Vor- und NachteileVorteileGegenüber anderen Fernwaffen wie Speer, Armbrust oder Bogen hat die Schleuder einige Vorteile:
NachteileDie Schleuder hat folgende Nachteile:
ReichweiteWie bei anderen mit Muskelkraft betriebenen Waffen der Antike und des Mittelalters, hing die Reichweite der Geschosse von Stärke und Geschicklichkeit des Schützen ab. Die Schätzungen in der Fachliteratur schwanken stark.[4] Es scheint, dass die Schleuder in der Antike dem Bogen nicht an Reichweite unterlegen war. Xenophon erwähnt in seiner Anabasis, dass rhodische Schleuderer mit Bleigeschossen eine ähnliche Reichweite wie die persischen Bogenschützen erreichten. Der spätantike Militärschriftsteller Flavius Vegetius Renatus gibt in De Re Militari sechshundert Fuß als Übungsentfernung für Stabschleuder und Bogen an. Man kann daher eine Reichweite von 200–300 Metern für Bleigeschosse annehmen. Ausreichend trainierte Schleuderer dürften auf etwa 100 Meter mit einiger Treffsicherheit und hoher Durchschlagskraft getroffen haben.[5] GeschosseMan konnte mit einer Schleuder fast jedes kleine, schwere Objekt werfen. In großen Armeen war es üblich, Geschosse von einheitlicher Qualität und Größe in Massenproduktion herzustellen. An vielen historischen Fundorten wurden eingelagerte Schleudergeschosse gefunden. Die ältesten Geschosse für die Schleuder waren Steine, wobei runde, glatte Steine besonders gut geeignet waren. Im 1. Buch Samuel wird erwähnt, dass David fünf glatte Steine aus einem Bach als Schleudergeschosse für den Kampf gegen Goliat auswählte. Die Steine wurden gesammelt und gelagert. In dem eisenzeitlichen Hillfort Maiden Castle in Dorset (Südengland) wurden ca. 40.000 ausgesuchte Kiesel vom nahen Strand als Schleudergeschosse gefunden.[6] Es wurden nicht nur Kiesel benutzt, sondern auch behauene Steingeschosse, ungefähr so groß wie Billardkugeln. Das Gewicht der Steine konnte stark variieren. Nach Diodorus Siculus sollen die balearischen Schleuderer im Dienste Karthagos in der Schlacht am Kap Ecnomus (256 v. Chr.) Steine mit einem Gewicht von einer Mina (436,6 Gramm) verschossen haben (Bibliotheke Buch XIX. 109). Gegossene Geschosse aus Blei oder anderen Metallen waren noch wirksamer. Bleigeschosse hatten auch den Vorteil einer größeren Reichweite. Xenophon berichtet in seiner Anabasis, dass die Bleigeschosse rhodischer Schleuderer die doppelte Reichweite der Steingeschosse der persischen Schleuderer hatten. Es kamen auch Geschosse aus gebranntem oder getrocknetem Ton zum Einsatz, die zum Beispiel in Hamoukar oder in England, siehe Bild rechts, gefunden wurden. Cäsar berichtet von glühenden, aus Ton geformten Kugeln, die von Schleuderern der Nervier auf strohgedeckte Scheunen geworfen wurden (Commentarii de Bello Gallico, Buch V, Kapitel 43). Der Chronist Olaus Magnus berichtet in der Historia de gentibus septentrionalibus, dass finnische Krieger glühende Eisenstücke schleuderten (Schlacht bei Västerås, 1521).[7] Mit Stockschleudern konnten auch Brandsätze verschossen werden.[8] Die ersten einfachen Granaten wurden ebenfalls mit Stockschleudern verschossen. Soziale BedeutungDie Schleuder war wegen der geringen Kosten eine ideale Fernwaffe für arme Leute. In antiken Völkern mussten die Krieger oft selbst ihre Waffen bezahlen. Die ärmsten Schichten der Bevölkerung konnten sich zumindest mit Schleudern bewaffnen. Auf diese Weise wurden auch die Armen zu effizienten Kriegern, deren Wohlwollen der Herrscher sich erhalten musste, wenn er ihre Unterstützung für seine militärischen Pläne benötigte. Hirtenvölker brachten oft gute Schleuderer hervor (der biblische David war Hirte). Schaf- und Ziegenhirten benötigten eine gute, billige Fernwaffe, um die Herde damit zu lenken und Raubtiere und Viehdiebe fernzuhalten. Sie hatten auch genug Zeit, um mit der Schleuder zu üben. Die Schleuder in der GeschichteDie Schleuder gehört zu den ältesten Waffen der Menschheit. Praktisch alle Kulturen der europäischen Antike kannten die Schleuder. Als Ursprungsland der Schleuder in der griechisch-römischen Welt gelten die Balearen-Inseln Mallorca, Ibiza und Formentera. Die Schleuderer von den Balearen werden heute mit dem Namen Els Foners Balears bezeichnet. Balearische InselnDie Urbevölkerung der Balearen (erste Spuren menschlicher Besiedlung stammen aus dem 3. Jahrtausend vor Christus) brachte die ersten Jäger hervor, die eine Schleuder und als Projektile rundliche Steine benutzten. Später wurde diese Technik auch zur Verteidigung eingesetzt. Die Treffsicherheit war schon damals enorm. Wurfweiten von mehr als 150 Meter werden aufgrund von Rekonstruktionen und Versuchen vermutet. Die Projektile hatten ein Gewicht zwischen 100 und 500 Gramm. Die hohe Kunst des Steinschleuderns machte später die Ur-Mallorquiner zu gefragten und gut entlohnten Söldnern in den karthagischen und römischen Armeen.
Die Foners kämpften auch gegen die einfallenden römischen Truppen.
Durch eine geschickte Anordnung von zwei Werfergruppen erzielten die Foners einen einem Vorhang gleichenden Abwehrriegel, sodass der Gegner wenig Chancen hatte, unverletzt durchzukommen. Die Wurffrequenz der Werfer war wesentlich höher als bei Bogenschützen. Seit dem Jahr 2001 gibt es mehrere Vereine auf den Baleareninseln Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera, die diese Tradition bewahren. Jährlich werden die Balearen-Meisterschaften ausgetragen. Es gibt ein eigens dafür geschriebenes Regelwerk. Antikes GriechenlandDie Griechen setzten im Krieg Schleuderer (sphendonêtai) ein. Die Schleuderer aus Rhodos tauchten zum ersten Mal in griechischen Armeen auf. In der Anabasis des Xenophon werden Schleuderer als Teil der griechischen Truppen beschrieben. Auf griechischen Münzen sind Schleuderer ein häufiges Motiv.[9] Die Schleuder wird auch in den Legenden der Griechen erwähnt: Herakles tötet die Stymphalischen Vögel mit einer Schleuder (oder einem Bogen). Homer erwähnt die Schleuder in der Ilias (3. Buch). Naher und Mittlerer OstenDavid kämpfte mit der Schleuder gegen den Philister Goliat (1 Sam 17,48-49 LUT):
Heute wird dieser Kampf oft als die sprichwörtlich ungleiche Konfrontation „David gegen Goliath“ beschrieben, aber die Schleuder war in der Hand eines geübten Mannes eine tödliche Waffe. Die Männer des biblischen Stammes Benjamin werden im Alten Testament für ihre Geschicklichkeit mit der Schleuder gelobt (Ri 20,15-16 LUT):
In den Heeren der Assyrer gab es Schleuderer, die zum Beispiel auf Reliefs in Ninive abgebildet sind. Die Kyrthioi (lateinisch Cyrtii) stellten ebenfalls Schleuderer (Polybios 5,52,5). KeltenDie eisenzeitlichen Kelten kannten die Schleuder als Jagd- und Kriegswaffe. In irischen Legenden, vor allem im Ulster-Zyklus, ist die Schleuder eine übliche Waffe:
Römisches ReichDie Schleuder heißt auf Lateinisch Funda, die Schleuderer nannte man Fundatores oder Funditores. Das römische Reich setzte vor allem auf die Schleuderer aus Rhodos, von den Balearen oder auf die Akarnanen. Auch Kyrthioi dienten auf römischer Seite, zum Beispiel in der Schlacht von Kallinikos (171 v. Chr.).[10] Die Schleuderer Roms verwendeten rauten- oder dattelförmige Bleigeschosse, Glandes (Eicheln) genannt, mit einem Gewicht von 20–50 Gramm.[3] Damit konnte der Schleuderer Schilde zerschlagen, während ein Treffer auf den Helm zu Gehirnerschütterung oder Erblindung führen konnte. Eiförmige Steine in Gräbern wie zum Beispiel in Vindonissa könnten Schleudersteine sein, die den Verstorbenen ins Grab mitgegeben worden waren. Der römische Arzt Aulus Cornelius Celsus beschrieb medizinische Techniken, um Schleudergeschosse aus dem Körper eines Getroffenen zu entfernen.[11] Europäisches MittelalterIm Mittelalter erscheint die Schleuder noch häufig in Abbildungen von Schlachtszenen, wie zum Beispiel in einem Gemälde der Schlacht von Nájera (1367), in der Bildchronik Liber ad honorem Augusti sive de rebus Siculis von Petrus de Ebulo aus dem Jahr 1196 die die staufische Eroberung Siziliens wiedergibt oder in der Maciejowski-Bibel.[12] Schleudern wurden im Mittelalter auch bei der Jagd benutzt. „Jagdgesellen“ verwendeten die einfache Schleuder, um Rebhühner aufzuscheuchen. Auf dem Wandteppich von Bayeux ist ein Schleuderer auf der Vogeljagd zu sehen.[13] AmerikaDie Inka, Maya und Azteken verwendeten die Schleuder zur Jagd und als Kriegswaffe. Die Azteken verwendeten auch die Speerschleuder (siehe oben). Eine Inka-Schleuder bestand aus Baumwolle oder der Wolle von Lamas oder Alpakas.[14] Die üblichen Geschosse waren Steine. OstasienDie östlichen Hochkulturen Asiens (insb. China und Japan) scheinen die Schleuder nicht verwendet zu haben. Die Chinesen kannten das Trebuchet beziehungsweise die Zugblide als Belagerungsmaschine. In Tibet war die Schleuder bekannt. NeuzeitEiner der letzten nachweisbaren Einsätze der Schleuder als militärischer Waffe war bei der Belagerung von Sancerre (1572).[15] In einem Militärhandbuch von Johann Jacobi von Wallhausen ist auf Abbildungen zu sehen, wie Soldaten noch um 1616 an der Schleuder ausgebildet wurden. Im 16. Jahrhundert verwendete man die Stabschleuder, um einfache Handgranaten zu werfen. Bei Kindern (meist Jungen, seltener bei Mädchen) war die Schleuder noch bis ins Fernsehzeitalter ein „Zeitvertreib“ im Freien, der aber „ins Auge“ gehen konnte.[16] Der französische Ausdruck für Schleuder „fronde“ war auch der Name für eine Revolte des französischen Adels im 17. Jahrhundert. Der Name soll auf die Schleudern zurückgehen, mit denen Steine gegen die Fenster von Häusern von Parteigängern des unbeliebten Kardinals Jules Mazarin geworfen wurden. Eine Berner Schulordnung von 1636 berichtet, dass Knaben nach dem Schulunterricht gerne „steinschlinggen“. Militärisch wurde die Steinschleuder (wie auch Speer und Lanze) dann immer mehr durch die Schusswaffen abgelöst. Weiterhin als Waffe eingesetzt wird die Schleuder unter anderem bei gewalttätigen Protesten, zum Beispiel von jugendlichen Palästinensern im Nahostkonflikt.[17] Aktuelle RechtslageNach dem deutschen Waffenrecht (Waffengesetz – WaffG, Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.7 in Verbindung mit Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 1.3) ist verboten:
Die antike Schleuder spielt heute keine Rolle mehr, weshalb der Gesetzestext sich auf die Zwille bezieht. Literatur
WeblinksCommons: Schleudern – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
|