Sofonisba Anguissola war das älteste von sieben Kindern Amilcare Anguissolas und seiner Frau Bianca Ponzoni (sechs Töchter, ein Sohn). Die Eltern Sofonisbas gehörten beide zu aus dem Handelsbürgertum stammenden, adeligen Familien der Stadt Cremona. Amilcare und Bianca Anguissola erzogen ihre Töchter in einem – für damalige Zeiten – „neuen Sinn“: Sie ließen ihnen eine humanistisch geprägte Bildung zukommen sowie eine Ausbildung, wie es nur für männliche Familienmitglieder üblich war. Sofonisbas Schwestern Lucia, Europa und Anna Maria wurden Malerinnen, Minerva trat als Literatin auf, Elena trat dem Dominikanerinnen-Orden bei.
Sofonisba selbst, die Älteste, erhielt eine solide künstlerische Ausbildung. Sie studierte unter anderem ab ihrem elften[1] Lebensjahr bei Bernardino Campi[1] und Bernardino Gatti, gen. Il Sojaro. Ihr Vater übernahm das Management seiner begabten Tochter und korrespondierte mit hervorragenden Künstlern jener Zeit (unter anderem Michelangelo), um ihr Aufträge zu verschaffen.[2] All dies war für Frauen in der damaligen Kunst sehr ungewöhnlich.
Sofonisba hatte bereits einen guten Ruf als Porträtmalerin, als sie im Jahr 1559 auf Empfehlung des Herzogs von Alba, Fernando de Toledo an den spanischen Königshof gerufen wurde, um Philipp II. und seine Familie zu malen und als Hofdame die erst 14-jährige Elisabeth von Valois zu unterrichten. Die junge Königin verbrachte bald die meiste Zeit vor der Staffelei.
Sofonisba war der Königin Elisabeth auch emotional sehr verbunden. Als Elisabeth 1568 während ihrer dritten Schwangerschaft starb, fiel Sofonisba in Depressionen und bat um ihre Entlassung. In ihrem Vertrag war ihr zugesichert, dass der Hof sich um einen „standesgemäßen“ Mann für die Hofdame umsehen müsse. So verschlug es sie nach Sizilien zu ihrem ersten Ehemann, dem sizilianischen Edelmann Fabrizio di Moncada. Nach dessen Tod zog sie erneut nach Spanien, verliebte sich jedoch unterwegs in den Genuesen Orazio Lomellini, heiratete diesen ohne Erlaubnis des Königs und zog mit ihm nach Genua. Dort begann sie wieder zu malen und gab Malunterricht. 1585 traf sie die Infantin Catalina Micaela wieder, die sie auf ihrem Weg zu ihrem Bräutigam, dem Herzog von Savoyen nach Turin begleitete. Während dieser Reise fertigte sie für ein Bildnis der Braut Skizzen an.
1606 besuchte sie der junge Peter Paul Rubens, der im Auftrag des Herzogs von Mantua in Spanien mehrere ihrer Werke kopiert hatte. Durch eine Augenkrankheit (starke Kurzsichtigkeit) und Rheumatismus behindert, konnte Anguissola in ihren späten Jahren nicht mehr malen. Sie übersiedelte nach Palermo in Sizilien, wo sie der junge Anthonis van Dyck besuchte und die Neunzigjährige in seinem Italienischen Skizzenbuch porträtierte.
Bedeutung
Sofonisba Anguissola war zu ihrer Zeit vor allem als Porträtmalerin und als Malerin von Alltags- und Gruppenszenen bekannt, geriet jedoch nach ihrem Tod zu Unrecht bald in Vergessenheit. Da ihr ein Studium der Anatomie nicht möglich war und für Frauen die Arbeit mit großformatigen Leinwänden zur Bearbeitung biblischer oder mythologischer Themen ebenfalls als unstatthaft galt, erweiterte sie den damaligen Kunstbegriff in Bereiche der persönlichen Erfahrung. Dabei malte sie Kinder und Jugendliche psychologisch einfühlsam und nicht, wie dies häufig vorkam, als kleine Erwachsene und verwendete zu diesem Zweck meist sehr kleinformatige Bildträger.[1]
Das bekannteste Bild ist Drei Schwestern beim Schachspiel von 1555, das als erste Darstellung einer Alltagsszene in der italienischen Malerei gilt. Es zeigt Lucia (links), Minerva (rechts) und Europa (in der Mitte), sowie am rechten Bildrand eine Gouvernante. Nach Ansicht einzelner Kunsthistoriker enthält es mit dem Lachen Europas zudem die erste Darstellung von Schadenfreude in der europäischen Kunst.[1]
Neben der spanischen Königsfamilie malte sie auch viele italienische und spanische Adelige jener Zeit. Ihre Werke fanden Eingang in die Kunstsammlung des Vatikans. Papst Julius III. sowie Papst Pius IV. besaßen einige ihrer Gemälde. Auch der Biograph von Michelangelo, Raffael und Leonardo da Vinci, Giorgio Vasari, brachte ihren Arbeiten großes Interesse entgegen.[3][4]
Darüber hinaus war Sofonisba Anguissola auch als Lehrmeisterin tätig. Als junge Frau unterrichtete sie ihre Schwestern, später in den Vierzigern weitere junge Künstlerinnen.
Irmgard Osols-Wehden (Hrsg.): Frauen der italienischen Renaissance. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzeninnen. Primus-Verlag, Darmstadt 1999, ISBN 3-89678-115-4.
Paola Tinagl: Women in Italian Renaissance Art. Gender, Representation, Identity. Manchester University Press, Manchester 1997, ISBN 0-7190-4054-X.
Sylvia Ferino-Pagden: Sofonisba Anguissola. Ausstellungskatalog des Kunsthistorischen Museums, Wien 1995, ISBN 3-900325-41-3
Anguissola, Sofonisba. In: Enciclopedia on line. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom. Abgerufen am 29. Mai 2014.
Einzelnachweise
↑ abcdDeborah Solomon: Old mistresses move the old masters aside – The Prado in Spain honors two female Renaissance painters. In: A. G. Sulzberger (Hrsg.): The New York Times. New York 19. Dezember 2019, S.1f.
↑Paola Tinagl: Women in Italian Renaissance Art. Gender, Representation, Identity. Manchester University Press, Manchester 1997, ISBN 0-7190-4054-X, S. 14 ff.
↑Paola Tinagl: Women in Italian Renaissance Art. Gender, Representation, Identity. S. 114.
↑Haberlik: 50 Klassiker Künstlerinnen. Malerinnen, Bildhauerinnen und Photographinnen. S. 9–10.