Im New Yorker Exil entstanden die meisten seiner schriftstellerischen Arbeiten; von Bedeutung waren aber auch seine Übersetzungen der Werke amerikanischer Autoren wie Maxwell Anderson, Arthur Miller, Thornton Wilder und Tennessee Williams. Einen wesentlichen Aspekt dieser Zeit bildet die kritische Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. Exemplarisch hierfür ist Sahls langjährige Beziehung zu Bertolt Brecht. Schon frühzeitig zog Sahl Parallelen zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus, zwischen Hitler und Stalin. Er warf Brecht vor, dass dieser die „Auskältung und Einfrostung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Stalinismus und im Nationalsozialismus, die Betrachtung des Menschen von außen, der nun zum bloßen Material der Geschichte wurde […], salonfähig“ gemacht habe.[2] Seine Sicht des Kommunismus isolierte ihn von vielen seiner Leidensgenossen im Exil, die in jenen Jahren noch überzeugte Anhänger Stalins waren, weshalb Sahl dem zweiten Band seiner Autobiografie den Titel Das Exil im Exil gab. In New York war er Teilnehmer des Oskar-Maria-Graf-Stammtisches.
1953 kehrte er nach Deutschland zurück. Sahl nahm frühzeitig Anstoß an der ideologischen Orientierung orthodoxer Linker, was teilweise zu Zerwürfnissen mit alten politischen Mitstreitern führte. In New York stand er zeitweilig der Gruppe um die Anti-Stalinistin Ruth Fischer nahe, was dazu beitrug, dass Sahl die Aufmerksamkeit der amerikanischen Geheimdienste im Kalten Krieg auf sich zog. 1955 beteiligte er sich mit Beiträgen in „Der Monat“ (Hefte 76 und 81) an einer (dort und an anderen Stellen u. a. zwischen Karl Hofer, Rudolf Schlichter und Will Grohmann geführten[3]) Debatte um die abstrakte Kunst. Gegen diese von amerikanischer Seite geförderte Kunst wandte er ein, sie sei Ausdruck einer „Flucht (des Künstlers) vor der Realität“ und sie trage dazu bei, „die Grenze zwischen Amateur und Künstler“ zu verwischen.[4] Einen ähnlichen Artikel (Wallpaper Metaphysics) hatte er bereits 1951 in dem US-amerikanischen Magazin „The Commonweal“ veröffentlicht. Bereits im Exil und dann auch bis 1958 in der Bundesrepublik arbeitete er als Kulturkorrespondent u. a. für die „Neue Zürcher Zeitung“, „Die Welt“ und die „Süddeutsche Zeitung“. Danach lebte er erneut in den USA, bevor er 1989 mit seiner Frau endgültig nach Deutschland übersiedelte. Sahl nahm nach Neonazi-Anschlägen 1992 an den „Dichterlesungen in Asylbewerberheimen“ teil. Diese waren eine Aktion der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, deren erstes Ehrenmitglied er danach wurde.
Hans Sahl starb im April 1993 im Alter von 90 Jahren in Tübingen. Die Beisetzung erfolgte auf dem Berliner Friedhof Heerstraße im heutigen Ortsteil Westend.[5] Auf Beschluss des Berliner Senats ist die letzte Ruhestätte von Hans Sahl (Grablage: II-Ur 8-141) seit 2018 als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet. Die Widmung gilt für die übliche Frist von zwanzig Jahren, kann anschließend aber verlängert werden.[6]
1993: Ehrenmitglied der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft
Zitat
„Am interessantesten sind in der Prosa Hans Sahls die Teile, die die Ereignisse des Jahres 1933 betreffen.[7]Ausgeleuchtet wird nur der Raum des Privaten, doch gezeigt wird die Weltgeschichte. Die Darstellung ist ganz distanziert, ein wenig melancholisch, ohne eine Spur von Hass oder Zorn. Es dominieren Schmerz und Trauer und grenzenlose Verwunderung.“
Jemand. Ein Chorwerk. Weltliche Kantate nach dem Holzschnittzyklus Die Passion eines Menschen von Frans Masereel. Verl. Oprecht, Zürich 1938. Ein Oratorium gegen den Hitlerfaschismus. Musik von Viktor Halder (Pseudonym für Tibor Kasics), Uraufführung des Zürcher Arbeitersängerkartells 1938, Volkshaus Zürich. Wieder aufgeführt bei den Zürcher Internationalen Juni-Festwochen 1988 mit dem Thema Fluchtpunkt Zürich.
Neu aufgelegt mit Materialien und Selbstzeugnissen, herausgegeben von Gregor Ackermann und Momme Brodersen, enthält auch den Holzschnittzyklus von Masereel und eine Audio-CD: Live-Mitschnitt der Aufführung 1988. Musik: Tibor Kasics. Musikalische Gesamtleitung: Johannes Schläfli. Bostelmann & Siebenhaar, Berlin 2003, ISBN 3-934189-59-8.
Die hellen Nächte. Gedichte aus Frankreich. New York 1942; wieder Weidle, Bonn 2012, ISBN 978-3-938803-54-7.
Die Wenigen und die Vielen. Roman einer Zeit. Frankfurt 1959; Neuauflagen: Luchterhand, Darmstadt/Neuwied 1991 und Luchterhand, München 2010, ISBN 978-3-630-87292-6.
Hausmusik. Eine Szenenfolge. Uraufführung New York 1981. Stefanie Hunzinger Bühnenverlag, Bad Homburg 1990.
Memoiren eines Moralisten. Ammann, Zürich 1983, Luchterhand, Darmstadt/Neuwied 1985 und 1991.
Das Exil im Exil. Luchterhand, Darmstadt & Neuwied 1990; Neuausgabe: Luchterhand, München 2008.
Rubinstein oder Der Bayreuther Totentanz. Eine Antioper in zwei Akten. Uraufführung Tübingen 1991. Stefanie Hunzinger Bühnenverlag, Bad Homburg 1990.
Wir sind die Letzten. Der Maulwurf. Gedichte. Luchterhand, Darmstadt/Neuwied 1991.
Der Tod des Akrobaten. Erzählungen. Luchterhand, Darmstadt/Neuwied 1992.
Der Schrei und die Stille. 19 Gedichte mit Zeichnungen von Georg Sternbacher, Verlag G. Sternbacher, Bopfingen-Oberriffingen 1993.
Reinhard Müller: Melde gehorsamst: Renegat Sahl mit Pauken und Trompeten zur Stelle. Briefe von Hans Sahl an Willi Schlamm (1937). In: Exil, Forschung, Erkenntnisse, Ergebnisse. H. 1, 23. Jg. 2003, ISSN0721-6742 S. 50–61[9]
George Grosz, Hans Sahl: So long mit Händedruck. Briefe und Dokumente. Hrsg. Karl Riha, Briefsammlung 1950–1959, mit zwei Essays von Hans Sahl über George Grosz: Die Stockmenschen. (1950) und George Grosz oder Die Vertreibung aus dem Paradies. (1966), Luchterhand Literaturverlag, Hamburg 1993, ISBN 3-630-86811-8.
Interviews
David Dambitsch: Im Schatten der Shoah. Gespräche mit Überlebenden und deren Nachkommen. Vorwort Wolfgang Benz. Philo, Berlin 2002, ISBN 3-8257-0246-4.
als Hörbuch: Stimmen der Geretteten. Berichte von Überlebenden der Shoah. 3 CDs, Booklet, Audio Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89813-213-7Rezension und FAZ, 8. Oktober 2002[10]
Marko Martin: „Als wär ich nie gewesen oder kaum“ – Hans Sahl. In: ders.: Dissidentisches Denken. Reisen zu den Zeugen eines Zeitalters. Die Andere Bibliothek, Berlin 2019, ISBN 978-3-8477-0415-7, S. 100–123.
Andrea Reiter: Die Exterritorialität des Denkens. Hans Sahl im Exil. Wallstein, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8353-0223-5.
Klaus G. Saur: Sahl, Hans. In: Karin Peter, Gabriele Bartelt-Kircher, Anita Schröder (Hrsg.): Zeitungen und andere Drucksachen. Die Bestände des Dortmunder Instituts für Zeitungsforschung als Quelle und Gegenstand der Forschung. Klartext-Verlag, Essen 2014, ISBN 978-3-8375-1015-7, S. 498.
↑„Unrecht-Haben zählt hier zu den Todsünden“. Gespräch mit Hans Sahl (1992), Frankfurter Hefte, Nr. 12/2002, S. 747–750.
↑Hans Sahl, Das Exil im Exil, Frankfurt: Luchterhand Literaturverlag, 1990, S. 147.
↑Vgl. Karl Hofer: Malerei hat eine Zukunft. Briefe, Reden, Aufsätze. Kiepenheuer, Leipzig und Weimar, ISBN 3-378-00478-9, S. 436 f. (Kommentar zu Karl Hofers Artikel Zur Situation der bildenden Kunst von Februar 1955).
↑Hans Sahl: Die Pflicht des Kritikers zur Kritik. Ein vorläufiges Schlusswort zur Kunst-Debatte. In: „Der Monat“, Juni 1955, Heft 81, 7. Jahrgang, S. 280 f.
↑Schwerpunktheft zu Sahl, enthält ferner: „Hans Sahl.“ Zeichnung von Gert Wollheim, im französischen Lager für Ausländer „Château de Vernuche“ mit Bild eines Treppenhauses dort (Memento vom 27. Februar 2014 im Internet Archive), in Varennes-Vauzelles bei Nevers, Frankreich 1940.- Momme Brodersen: „Blutige Realität am Leser vorbeiziehen lasen, als läse er eine Story“. Zu Hans Sahls Gedichtanthologie „Die hellen Nächte“.- dsb. mit Gregor Ackermann: Hans Sahl. Nachträge zur Bibliographie seiner Schriften 1995-2013.- Hans Sahl: Briefe: 1982.- Edita Koch: Kommentar.- Frithjof Trapp: Trödler des Unbegreiflichen. Zu Sahls „Die Wenigen und die Vielen“..- Hans Sahl: Chronik der Hellen Nächte. Ein unveröffentlichtes Feature aus dem Nachlass. Archiviert bei der Harvard University. Hier Beschreibung
↑224 Min. Die Rezension der FAZ referiert: Michael Jeismann widerspricht denen, die bei diesen Stimmen eine Wiederholung des Sammelprojekts der Shoa Foundation, USC, erwarten. Nein, diese Kompilation von Radiosendungen aus den vergangenen 10 Jahren ist eine „fesselnde und berührende Geschichte aus dem Bauch des 20. Jahrhunderts“. Dambitsch gibt damit den Opfern ihre Identität zurück, und die Hörer erfahren neben den persönlichen Schicksalen auch etwas von der größeren Geschichte, in der sich die Sprechenden damals bewegten. Wenn man die Stimmen hört, von verschiedenen Menschen aus dem Kulturleben des damaligen Deutschland, dann versteht man die Vielfalt der Meinungen in der jüdischen Gesellschaft der 1930er Jahre besser, also die Unwissenheit vieler und die Klarsicht etlicher; man begreift die Abscheu vor Deutschland und die Anziehung durch das Vaterland, wenn z. B. W. Michael Blumenthal von seinen Eltern berichtet, dass sie ihr Besteck auch später wie selbstverständlich in Solingen bestellten. Je mehr man davon hört, meint Jeismann, desto wirklicher wird uns, was war, und was ist.- Zu Wort kommen außer Sahl: Primo Levi, Arno Lustiger, Grete Weil, Simon Wiesenthal und Imre Kertész sowie deren Nachkommen.