Calis ist Sohn eines armenischen Gießereiarbeiters und einer jüdischen Reinigungskraft, die aus der Türkei immigriert waren.[1] Er wuchs in der Großwohnsiedlung Bielefeld-Baumheide auf, besuchte das Gymnasium und jobbte ab 1992 als Türsteher. Nach dem Abitur 1996 begann er ein Regiestudium an der Münchener Otto-Falckenberg-Schule, das er 2000 abschloss. Während dieser Zeit arbeitete er als Assistent sowohl an den Münchner Kammerspielen als auch am Schauspielhaus Zürich.
Calis Großmutter kam 1961 als erste Generation der Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Kurz nach seiner Geburt in Bielefeld, entschlossen sich seine Eltern zurück nach Istanbul zu gehen, um dort eine neue Existenz aufzubauen. Doch wegen der politischen Unruhen wurde die Lebenssituation für die Familie immer schwieriger. Kurz vor dem Militärputsch 1980 gelang ihnen die Flucht nach Deutschland. Die Familie beantragte politisches Asyl.[2] Nach 9 Jahren der Duldung mündete das Verfahren in die Anerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft.[3][4] Calis wurde armenisch-orthodox getauft und ist Mitglied der armenischen Gemeinde in Deutschland.[5] 2010 wurde von der Filmhochschulabsolventin Geraldine Laprell, Nuran David Calis und Marie-Charlotte Grawe die SterntalerFilm GmbH als Independent-Filmproduktion mit Sitz in München gegründet, die Kino- und Dokumentarfilme herstellt.[6]
Nuran David Calis lebt in München.
Wirken
Sein erstes Theaterstück Urbanstorys (2005) schrieb Calis zusammen mit Jugendlichen aus Hannover. Sein zweites Theaterstück Dogland (2006) erschien bei Fischer, lief 2005 an den Kammerspielen und sollte am Wiener Burgtheater seine internationale Uraufführung erfahren. Sein drittes Stück Schwarz wurde 2007 in Theater heute besprochen. Einer von uns folgt 2008 an renommierten deutschen Theatern.
2006/2007 arbeitete Calis, der in den Jahren 2000 bis 2002 auch im Bereich Musikvideo und als Schauspieler tätig war, an seinem ersten Kino-Langfilm-Drehbuch Die Augen meiner Mutter (2007), das 2008 unter dem Titel Meine Mutter, mein Bruder und ich! in die Kinos kam.
2007 schrieb Calis eine Neufassung von Frank WedekindsFrühlings Erwachen, die am Schauspiel Hannover ein großer Erfolg wurde. Dasselbe Stück inszenierte er 2008 am Grillo-Theater und danach am Düsseldorfer Schauspielhaus; die Düsseldorfer Inszenierung erhielt 2009 den Bensheimer Theaterpreis für die beste Ensemble-Leistung. Im Jahr 2009 folgte eine unter seiner Regie entstandene Fernsehfassung für den ZDF-Theaterkanal.
Im Deutschen Theater Berlin wurde 2010 sein Stück Schattenkinder uraufgeführt, eine freie Adaption des Romans Die Kindermörderin des Sturm-und-Drang-Dichters Heinrich Leopold Wagner.
Im Jahr 2014 erregte seine Arbeit Die Lücke – Ein Stück Keupstraße am Schauspiel Köln großes Aufsehen, die er anlässlich des 10. Jahrestages des Nagelbombenanschlages durch die NSU-Terrorzelle in der Kölner Keupstraße zusammen mit Anwohnern und Betroffenen entwickelte.[7]
Es folgte 2016 am Schauspiel Köln die Uraufführung von Glaubenskämpfer. Religionssuche zwischen Kloster, Moschee und Synagoge, ein Stück über Glaube und Glaubende, über Christen, Muslime und Juden, über Konvertiten, radikale Fanatiker, Dogmatiker und Gelegenheitsbeter.
Calis inszenierte 2024 Emine Sevgi Özdamars autobiografischen Roman Ein von Schatten begrenzter Raum in Köln, welcher die Lebensgeschichte der Künstlerin zwischen Istanbul, Berlin, Bochum und Paris sowie ihre Auseinandersetzung mit türkischer Geschichte und deutscher Diskriminierung darstellt.[8] Die Uraufführung fand in der Fabrikhalle des Carlswerks, einer Interims-Schauspielstätte in Köln-Mülheim statt, ein Ort, der bereits durch Calis früheres dokumentarisches Theaterstück Die Lücke symbolische Bedeutung trug.[8] Das Stück verwendete vielfältige Bühnenmittel, wie einen halbierten Eisenbahnwaggon als Zentrum der Bühne, und integriert dynamische Elemente wie Musik von Nina Hagen und Édith Piaf, während es das Thema der künstlerischen Selbstermächtigung Özdamars in den Fokus stellte.[8]
Auszeichnungen
Für seine Theaterarbeit wurde Calis mehrfach ausgezeichnet. So wurde er als „Bester Nachwuchs“ für seine Regie von Schillers Die Räuber am Wiener Volkstheater auf der Nestroyverleihung 2006 berücksichtigt und ebenso als Regisseur mit dem Karl-Skraup-Preis ausgezeichnet. 2005 erhielt er das Dramatiker-Stipendium des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. 2017 erhielt er den Ludwig-Mülheims-Theaterpreis, mit einem Preisgeld von 25.000 Euro ist er einer der bestdotierten Theaterpreise im deutschsprachigen Raum.
2024 Berufung in den Kunsthochschulbeirat des Landes Nordrhein-Westfalen durch Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.[62]
↑Ivonne Poppek: Im Lichte der Geschichte in: Süddeutsche Zeitung vom 22. November 2022, S. R8
↑Stefan Keim: Theater: Was die Kinder der Revolution vereint. In: DIE WELT. 6. April 2013 (welt.de [abgerufen am 19. Oktober 2022]).
↑Eleonor Benítez: Jahrestag des Kölner NSU-Anschlags: Anspielen gegen die Beschämung. In: FAZ.NET. ISSN0174-4909 (faz.net [abgerufen am 18. November 2020]).
↑Kerstin Holm: Wormser Nibelungen-Festspiele: Komm, mein Schwert, und tanz mit mir für König Gunther. In: FAZ.NET. ISSN0174-4909 (faz.net [abgerufen am 18. November 2020]).
↑Andreas Platthaus: Nuran David Calis' Leipziger Inszenierung „Arturo Ui“. In: FAZ.NET. 18. Oktober 2023, ISSN0174-4909 (faz.net [abgerufen am 31. Oktober 2023]).
↑Torben Ibs: Der Theaterregisseur Nuran David Calis: Nazis als groteske Clowns. In: Die Tageszeitung: taz. 17. Oktober 2023, ISSN0931-9085 (taz.de [abgerufen am 7. Dezember 2023]).
↑Miguel de la Riva: „Nathan“ in Mannheim: Wer ist hier Gegner, wer Nachbar? In: FAZ.NET. 4. Dezember 2023, ISSN0174-4909 (faz.net [abgerufen am 7. Dezember 2023]).