Pawlowsk (russischПа́вловск) ist eine klassizistische ehemalige Sommerresidenz der russischenZaren, nebst der gleichnamigen Stadt mit 16.087 Einwohnern (Stand 14. Oktober 2010).[1] Sie liegt etwa 30 Kilometer südlich von Sankt Petersburg und fünf Kilometer südöstlich von Zarskoje Selo. Seit 1998 ist sie administrativ Sankt Petersburg unterstellt und gehört zum Stadtbezirk (Rajon) Puschkin. Von 1918 bis 1944 trug die Stadt den Namen Sluzk.
Die Geschichte der Stadt begann 1777, als das Grundstück der heutigen Parkanlage entlang des Flüsschens Slawianka dem späteren Zar Paul I. anlässlich der Geburt seines ersten Sohnes und Thronfolgers, Alexander, von seiner Mutter Katharina II. geschenkt wurde. Zunächst errichtete das Kronprinzenpaar dort zwei hölzerne Schlösschen, Marienthal und Paulslust, dann nahmen sie das große Schlossprojekt in Angriff.
Im Jahre 1780 wurde der schottische Architekt Charles Cameron, welcher auch für Katharina II. in Zarskoje Selo baute, mit der Leitung der Bautätigkeiten in Pawlowsk beauftragt. Der klassizistische Entwurf wurde vom Kronprinzenpaar 1782 zur Ausführung genehmigt und im Jahre 1786 fertiggestellt.
Vor allem kümmerte sich Sophie Dorothee von Württemberg, die als russische Kronprinzessin und spätere Zarin den Namen Maria Fjodorowna angenommen hatte, um den Ausbau der Anlage. Der internationale Ruf der Gärten und Schlösser ist untrennbar mit dieser Frau verbunden, die über vierzig Jahre lang die Ausgestaltung der Anlage vorantrieb. Nach Pauls Tod blieb der Palast Witwensitz von Maria Fjodorowna, später ging das Anwesen an den Konstantinowitsch-Zweig der Familie Romanow.
Die Innenräume des Großen Palastes sind weniger als die anderen barocken, großen Zarenresidenzen auf absolute Repräsentation und Machtentfaltung angelegt. Der Palast von Pawlowsk ist im Stil des Klassizismus gehalten, teilweise beeinflusst vom napoleonischen Empire. Er wirkt trotz seiner Größe entsprechend bescheidener und intimer als der in der Hauptstadt.
Maria Fjodorowna ließ aus der unberührten Wildnis einen über 600 ha großen Landschaftspark im englischen Stil anlegen, welcher in weiten Teilen eine unberührte Naturlandschaft vorspiegelt.
Im Park wurde unter anderem ein Standbild des Gottes Apollon errichtet, das ursprünglich von einem Säulenrund umgeben war. Infolge eines Unwetters stürzte 1817 ein Teil der Säulen zusammen, und das Ensemble blieb lange eine Ruine. Erst ab den 1970er Jahren wurden die Apollo-Kolonnaden teilweise restauriert, so dass sie heute einen Halbkreis um die Statue bilden.
Der Park gilt als Gründungsort der russischen Pfadfinder. Am 30. April 1909 organisierte Oleg Pantjuchow das erste Treffen, und das Lagerfeuer fand im Park bei Zarskoje Selo statt. An dieses Ereignis erinnert noch heute ein russisches Lied.
Bilder
Palast in Pawlowsk
Palast in Pawlowsk
Ägyptisches Vestibül des Palasts
Griechischer Saal im Palast
Raumfolge
Raumausstattung
Kriegssaal
Italienischer Saal
Rittersaal
Thronsaal
Park in Pawlowsk
Freundschaftstempel im Park
Der heutige Bahnhof von Pawlowsk
Die Stadt
Mit der Thronbesteigung Pauls I. 1796 wurde die Ansiedlung an der Residenz zur Stadt erhoben.
Vor der Oktoberrevolution war Pawlowsk eine beliebte Sommerfrische für die reichen Hauptstädter. Fjodor Dostojewskis Roman Der Idiot spielt teilweise in der das Schloss umgebenden Stadt Pawlowsk und porträtiert deren Datschniki.
Am 11. November 1837 wurde die erste Eisenbahnlinie Russlands zwischen St. Petersburg und Pawlowsk eröffnet. Das Bahnhofsgebäude, welches unmittelbar neben dem Palast (im Gebiet des „Großen Stern“) errichtet wurde, diente gleichzeitig als eine Art Kursaal und Konzertgebäude, in dem neben anderen musikalischen Berühmtheiten Johann Strauss (Sohn), Josef Strauss, Franz Liszt und Robert Schumann auftraten.
Auf diese Verbindung von Musikpavillon und Bahnhofsgebäude wird auch die Entstehung des russischen Wortes вокза́л/woksal für Bahnhof (heute korrekter: Bahnhofsgebäude) zurückgeführt. Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass das Gebäude nach den britischen Vauxhall Gardens bei London benannt wurde – in einem ausführlichen (deutschsprachigen) Bericht von 1842 über den Eisenbahnbau und -betrieb wird die Bezeichnung „Vauxhall-Gebäude“ verwendet[2] – und später der Name auf alle Bahnhöfe überging. Einer anderen Herleitung zufolge soll das Wort eine Verkürzung von „Wokalny Sal“, also „Chorsaal“, darstellen. Aber auch in diesem Fall entspränge der Wortbegriff der Verknüpfung der Funktionen von Bahnhofs- und Konzertgebäude in Pawlowsk.
Trotz der Umspurung der Eisenbahnlinie auf die russische Breitspur und die Verlegung des Bahnhofsgebäudes 1897 an die heutige Stelle wurde der „Musikbahnhof“ weiterhin künstlerisch genutzt.
Von 1918 bis 1944 trug die Stadt nach der unweit der Stadt ums Leben gekommenen Revolutionärin Wera Sluzkaja (1874–1917) den Namen Sluzk.
Pawlowsk wurde im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht erobert und erlitt während der Besatzung von 1941 bis 1943 schwere Schäden. Auch der Musikpavillon wurde niedergebrannt. Der Wiederaufbau des stark beschädigten Palastes, der erst 1978 offiziell beendet wurde, begann bereits 1944. Vereinzelte Restaurierungsarbeiten im Park dauern bis heute an.
Das einzigartige Ensemble, bestehend aus dem Schloss, einer großen Zahl von Pavillons, dem größten Schlosspark Europas sowie der historischen Altstadt, wurde 1990 von der UNESCO in die Liste des Weltkultur- und Naturerbes der Menschheit aufgenommen.
Bevölkerungsentwicklung
Jahr
Einwohner
1897
5.113
1939
30.798
1959
16.605
1970
20.969
1979
25.186
1989
25.536
2002
14.960
2010
16.087
Anmerkung: Volkszählungsdaten
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter der Stadt
Maria Pawlowna (1786–1859), Großfürstin von Russland und Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach
Fjodor Iordan (1800–1883), Graveur, Kupferstecher, Professor und Rektor der Russischen Kunstakademie
Suzanne Massie: Pavlovsk – The Life of a Russian Palace. Hodder & Stoughton, London 1990, ISBN 0-9644184-0-1.
Hubertus Gaßner (Hrsg.): Krieg und Frieden – Eine deutsche Zarin in Schloß Pawlowsk. Dölling und Galitz, Hamburg 2001, ISBN 3-935549-09-1, Inhaltsverzeichnis.
Musik in Pawlowsk. In: Ossip Mandelstam: Das Rauschen der Zeit. 4. Auflage. Fischer, Frankfurt am Main 2005 (1925), S. 9–13.
Film
Der Landschaftspark Pawlowsk. Dokumentarfilm, Deutschland, 2013, 52 Min., Buch: Inga Wolfram, Helge Trimpert, Regie: Inga Wolfram, Moderation: Wladimir Kaminer, Produktion: telekult, MDR, arte, Reihe: Diesseits von Eden, Erstsendung: 15. September 2013 bei arte, Inhaltsangabe von arte.
↑ abItogi Vserossijskoj perepisi naselenija 2010 goda. Tom 1. Čislennostʹ i razmeščenie naselenija (Ergebnisse der allrussischen Volkszählung 2010. Band 1. Anzahl und Verteilung der Bevölkerung). Tabellen 5, S. 12–209; 11, S. 312–979 (Download von der Website des Föderalen Dienstes für staatliche Statistik der Russischen Föderation)
↑L. Klein: Die erste russische Eisenbahn. In: Allgemeine Bauzeitung. Jahrgang 1842, S. 112. und Tafel 451 auf anno.onb.ac.at. Abgerufen am 15. Januar 2014.