Siegfried UnseldKarl Siegfried Unseld (* 28. September 1924 in Ulm; † 26. Oktober 2002 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Verleger. Von 1959 bis zu seinem Tod 2002 leitete er den Suhrkamp Verlag. Er war geschäftsführender Gesellschafter der Suhrkamp Verlag KG und der Insel Verlag KG sowie Mitglied der Rotarier. LebenElternhausSiegfried Unseld, geboren in Ulm an der Donau, war ein Sohn des Verwaltungsangestellten Ludwig Unseld und dessen Ehefrau Maria Magdalena Kögel, genannt Lina. Walter Unseld war sein vier Jahre jüngerer Bruder. Schulzeit und KriegsdienstSeine erste Schulzeit verbrachte Unseld in Ulm. Im Juni 1933 kam er zum Jungvolk der Hitler-Jugend. Dort lernte er auch Hans Scholl kennen, welcher kurz nach ihm eintrat. Ab 1935 besuchte Unseld das Realgymnasium am Blauring (heute Schubart-Gymnasium) in Ulm. Dort absolvierte er 1942 ein Notabitur und ging am 20. Oktober von der Schule ab. Weihnachten 1942 wurde er zur Kriegsmarine eingezogen und in Aurich zum Funker ausgebildet. Im Sommer 1943 wurde Unseld auf die Krim versetzt. Als seine Stellung in der Nähe von Sewastopol von der sowjetischen Marine zurückerobert wurde, rettete sich Unseld, indem er aufs offene Meer hinausschwamm und dort Stunden später von einem deutschen Schnellboot aufgenommen wurde.[1] Mitte Mai 1944 wurde er nach Warna (Bulgarien) und anschließend nach Griechenland versetzt. Weihnachten 1944 konnte er in Ulm verbringen. LehreDas Kriegsende erlebte Unseld in Flensburg; im Januar 1946 erreichte er wieder seine Heimatstadt. Noch im Oktober desselben Jahres begann er eine Lehre zum Buchhandelsgehilfen im Ulmer Aegis-Verlag. Im Sommer 1946 holte er sein Abitur nach (Zitat Unseld: „ein richtiges Abitur“); sein Abituraufsatz war dem Thema Faust und Wagner – zwei Menschen, zwei Welten gewidmet. Im September 1947 legte Unseld bei der IHK Stuttgart seine Gehilfenprüfung ab. Einer der Prüfer war der Verleger Paul Siebeck, Inhaber des J.C.B. Mohr Verlags in Tübingen. Berufseinstieg und gleichzeitiges StudiumVon Unseld überzeugt, engagierte ihn Siebeck noch am Prüfungstag. Unseld nahm das Angebot an und begann ab Oktober 1947, parallel zu seiner Arbeit, an der Universität Tübingen Germanistik, Philosophie, Völkerrecht, Sinologie und Bibliothekswissenschaft zu studieren. Er war u. a. Schüler des Philosophen Wilhelm Weischedel (1905–1975), der sich von Anfang an sehr für Unseld einsetzte. Am 14. April 1951 heiratete Unseld im Ulmer Münster die Hauswirtschaftslehrerin Hildegard „Hilde“ Schmid. Das Paar bekam Zwillinge, die sehr früh starben, und einen Sohn, den späteren Verleger Joachim Unseld. Sein Studium in Tübingen schloss Unseld mit einer Dissertation über Hermann Hesse ab und brach damit einige Regeln: Bis 1951 war es üblich, nur über verstorbene Schriftsteller zu forschen, zudem war Hesse umstritten. Ein weiteres Problem ergab sich, als Unselds Doktorvater, Friedrich Beißner, erfuhr, dass Unseld in einem Brief von Hesse bereits „Doktor“ genannt wurde, obwohl er die Prüfung noch nicht abgelegt hatte. Beißner prüfte Unseld, wahrscheinlich zur Strafe, nur im Fach Althochdeutsch, das einzige, das Unseld nie gelernt hatte. Am 24. Juli 1951 war das Promotionsverfahren abgeschlossen und Unseld bekam den akademischen Grad Dr. phil. Mit ihm saßen Walter Jens, Gerhard Storz, Johannes Poethen, Peter Meuer und Martin Walser in Beißners Doktorandenkolleg. Buchhändler und Arbeitsverhältnis bei SuhrkampNoch im selben Jahr begann Unseld als Buchhändler in Heidenheim an der Brenz zu arbeiten. Am 23. Oktober fand das erste Treffen zwischen Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld statt. Am 7. Januar 1952 begann Unselds Arbeitsverhältnis bei Suhrkamp. Mit Wirkung vom 1. Januar 1955 erteilte Suhrkamp Unseld Prokura; im selben Jahr reiste Unseld von Juli bis August zum ersten Mal in die USA: An der Harvard Summer School of Arts and Sciences der Harvard University in Cambridge hatte Henry Kissinger ein International Seminar eingerichtet; an diesem konnte er mit Empfehlungsschreiben von Hermann Hesse und Peter Suhrkamp teilnehmen. Um 1955 begann Unseld eine längere Affäre mit Corinne Pulver, einer Schwester der Schauspielerin Liselotte Pulver. Mit Corinne hatte er eine Tochter, Ninon Pulver, geboren 1959, heute Anwältin in Genf (Ninon war der Vorname der dritten Frau von Hermann Hesse). Zum 1. Januar 1958 stieg Unseld zum Gesellschafter des Verlages auf. Ausschlaggebend war dabei, dass er von der Ullstein AG abgeworben werden sollte. Während dieser Jahre hatte Unseld enge Kontakte zu fast allen Mitgliedern der Gruppe 47. Verleger UnseldAlleiniger VerlegerNach dem Tod Peter Suhrkamps 1959 übernahm Unseld als alleiniger Verleger bzw. Inhaber den Suhrkamp Verlag. Insel VerlagIn dieser Zeit ließ sich das westdeutsche Verlagshaus des Insel Verlags, das 1945 zunächst in Wiesbaden ansässig war – der ostdeutsche Verlagsteil war in Leipzig verblieben –, in Frankfurt am Main nieder. Die finanzielle Situation des Verlags war etwas schwierig und die Inhaberin Jutta von Hesler, die Tochter des Gründers Anton Kippenberg, wollte lieber heute als morgen verkaufen. Über Hermann Hesse konnte Unseld die Unternehmer Peter Reinhart und Balthasar Reinhart aus Winterthur für eine stille Teilhaberschaft gewinnen. Am 19. Februar 1963 kaufte der Suhrkamp Verlag den Insel Verlag rückwirkend zum 1. Januar. Nomos VerlagAm 1. Juli desselben Jahres kaufte Unseld den juristischen Fachverlag Lutzeyer in Baden-Baden. Der wichtigste Vermögenswert waren für den Suhrkamp Verlag die Lutzeyer'schen Druckereien. Dieser Verlag firmiert noch heute unter dem Namen Nomos Verlag (griech. weltliches Recht). Da der Umsatz des Suhrkamp Verlags in den nächsten Jahren sprunghaft anstieg, wurde er für die schweizerischen Teilhaber Reinhart immer mehr zum Wirtschaftsfaktor. Konflikt mit den Lektoren1968 kam es zum Konflikt zwischen Unseld und den Lektoren des Suhrkamp-Verlages (u. a. mit Walter Boehlich, Urs Widmer, Karlheinz Braun, Klaus Reichert und Peter Urban). Diese verlangten im Geiste der 68er-Bewegung mehr Mitbestimmung und forderten die Einrichtung einer „Lektoratsversammlung“, die alle wesentlichen Entscheidungen treffen sollte. Unseld sollte ihr als einfaches Mitglied angehören, wäre also faktisch als Verleger entmachtet worden. Unseld verteidigte seine Entscheidungsgewalt. Dies gelang ihm nicht zuletzt dadurch, dass er sich die Unterstützung prominenter Autoren sicherte. In der Suhrkamp Verlagsgeschichte 1950–1990 (1990) wurde der Konflikt nicht erwähnt, erst 2010 erschien eine Chronik mit Unselds Version der Ereignisse. 2011 legten ehemalige Lektoren ihre Darstellung im Buch Chronik der Lektoren. Von Suhrkamp zum Verlag der Autoren vor.[2] Seit dem Mauerbau setzte sich Unseld dafür ein, dass es Verlagen aus der DDR ermöglicht und erlaubt wurde, sich auf der Frankfurter Buchmesse zu präsentieren. Dies wurde ihnen jahrelang vorenthalten. Am 28. September 1974 wurde Unselds 50. Geburtstag in Königstein, dem letzten Wohnort Suhrkamps, in großem Stil gefeiert. Fast 250 Gäste waren geladen, als Hauptredner fungierte der Philosoph Ernst Bloch und musikalisch wurde der Abend von Milva begleitet, die Lieder mit Brecht-Texten vortrug. Deutscher Klassiker VerlagDer Deutsche Klassiker Verlag wurde am 1. Juli 1981 als Tochterunternehmen des Insel Verlags gegründet. Unseld berief eine Kommission ein, bestehend aus den Professoren Reinhard Brinkmann, Wolfgang Frühwald, Reinhart Koselleck, Jochen Schmidt und Albrecht Schöne, die den editorischen Plan überwachen sollten. Ab dem Jahr 1985 wurden die ersten Bände veröffentlicht. Familiäre NeuordnungIn der zweiten Hälfte der 1980er Jahre trennte sich das Ehepaar Unseld,[3] da die Ehefrau seine Affären nicht länger dulden wollte. Zu dieser Zeit war Unseld bereits mit der Schriftstellerin und früheren Schauspielerin Ulla Berkéwicz liiert, die er 1990 heiratete. Am 1. Januar 1988 wurde sein Sohn Joachim Unseld, der 1983 als geschäftsführender Gesellschafter in den Suhrkamp Verlag eingetreten war, gleichberechtigter Verleger.[4] Doch schon nach kurzer Zeit kam es zu heftigem Streit zwischen Vater und Sohn. Da auch die Schlichtungsversuche durch Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser und Jürgen Habermas nichts halfen, verließ Joachim Unseld 1991 den Verlag. Der Streit stand im Zusammenhang mit dem wachsenden Einfluss von Ulla Berkéwicz auf den Suhrkamp Verlag. Inhaber- und AnteilsrechteAls Inhaber des Insel Verlags meldete Unseld 1990 seine Rechte am ostdeutschen Insel Verlag Leipzig an und ein Jahr später wurde der Insel Verlag Leipzig ihm auch zugesprochen. Unseld war auch maßgeblich an den sog. Plusauflagen-Prozessen beteiligt. Darin forderten westdeutsche Verlage Honorare ein, die dadurch entstanden waren, dass DDR-Verlage von westdeutschen Lizenztiteln höhere Auflagen als vereinbart hatten drucken lassen. Die Schulden mussten schließlich 1:1 in Deutschen Mark gezahlt werden. Im Jahr 1999 verkaufte die Schweizer Volkart Holding AG (Vorstand: Andreas Reinhart) Teile ihrer Gesellschafteranteile der Suhrkamp KG und der Suhrkamp Verlagsleitung GmbH an Unseld, nachdem dieser durch den Verkauf des zur Suhrkamp-Verlagsgruppe gehörenden Nomos-Verlags eine größere Vermögensmasse zur Verfügung hatte. Damit hatte dieser endlich die absolute (nämlich 51%ige) Mehrheit des Unternehmens, nachdem er bereits einige Jahre vorher 20 % der Gesellschaftsanteile an der Suhrkamp KG an seinen Sohn übertragen hatte. Da nach den Auseinandersetzungen mit seinem Sohn dieser für ihn nicht mehr als sein Nachfolger in Frage kam, gründete Unseld 1999 die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung; damit wollte er seine Nachfolge endgültig regeln. Anfang 2002 wurde Siegfried Unseld schwer krank, erlitt im Sommer einen Herzinfarkt und starb in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober 2002 im Alter von 78 Jahren in seinem Haus in Frankfurt.[5] Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Frankfurter Hauptfriedhof. Seine zweite Ehefrau Ulla Berkéwicz und Martin Walser haben die Biographie Siegfried Unselds jeweils in einem Schlüsselroman thematisiert. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki urteilte über Unseld:
– Das literarische Quartett am 10. Oktober 1991 NachlassDer Nachlass von Siegfried Unseld liegt im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Zum Bestand des Siegfried Unseld Archivs gehören die Archive des Suhrkamp Verlags (inkl. des Insel Verlags, des Jüdischen Verlags sowie des Deutschen Klassiker Verlags). Hinzu kommen die persönlichen Nachlässe von Siegfried Unseld und Peter Suhrkamp.[6] Teile des Archivs sind im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen. Die Villa Unseld in der Klettenbergstraße 35 in Frankfurt wurde erst im Jahr 2024 verkauft, nachdem sie zuvor für 4,1 Mio. EUR zum Verkauf ausgeschrieben war.[7] Sie stand bereits seit 2010 weitgehend leer und wurde nur noch zur Zeit der Buchmesse für Empfänge benutzt. Ehrungen
Siegfried Unseld PreisZur Erinnerung an Siegfried Unseld verleiht die Siegfried Unseld Stiftung seit 2004 den Siegfried Unseld Preis. Veröffentlichungen (Auswahl)
Briefwechsel
Literatur
WeblinksCommons: Siegfried Unseld – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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