Im Jahr 1875 beschrieb Fedor A. Lösch (auch Fyodor Alexandrovich Lesh, russischФёдор Александрович Леш) den ersten nachgewiesenen Fall von Amöbenruhr in St. Petersburg, Russland.[1]
Er bezeichnete die Amöben, die er mikroskopisch beobachtete, als Amoeba coli; es ist jedoch nicht klar, ob er dies als beschreibenden Begriff verwendete oder ob er es als formale taxonomische Bezeichnung beabsichtigte. Die Gattung Entamoeba wurde dann 1895 von Casagrandi und Barbagallo für die Art Entamoeba coli, einen Kommensalorganismus, definiert.[2]
Löschs Organismus (Amoeba coli) wurde 1903 von Fritz Schaudinn in Entamoeba histolytica umbenannt und damit in die neue Gattung gestellt; er starb 1906 an einer bei der Untersuchung der Amöbe erlittenen Infektion.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die gesamte Gattung Entamoeba in die Gattung Endamoeba überführt, eine wenig bekannte Gattung von Amöben, die wirbellose Tiere infizieren.
Dieser Schritt wurde jedoch von der Internationalen Kommission für Zoologische Nomenklatur (englischInternational Commission on Zoological Nomenclature) in den späten 1950er Jahren rückgängig gemacht. Seither ist die Gattung Entamoeba stabil geblieben (Stand April 2022).
Entamoeba gehört zu den Archamoebae, die wie viele andere anaerobeEukaryonten reduzierte Mitochondrien (en. mitochondria-related orgenelles, MROs) haben.[3]
Zu dieser Gruppe gehören auch die Gattungen Endolimax und Iodamoeba, die ebenfalls in Tierdärmen leben und Entamoeba ähnlich sehen, auch wenn dies teilweise auf Konvergenz zurückzuführen sein mag.
Weiter gehören zu den Archamoebae auch die freilebenden Amöboflagellaten (begeißelte Amöben) der Gattung Mastigamoeba und verwandte Gattungen.[4]
Bestimmte andere Gattungen symbiotischer Amöben, wie Endamoeba, könnten sich als Synonyme von Entamoeba erweisen, doch ist dies noch unklar.
Die Gattung umfasst eine ganze Reihe von Arten (Spezies).
Entamoeba histolytica ist der Erreger der invasiven Amöbiasis (einschließlich Amöbenruhr und Amöbenleberabszess).
Andere wie Entamoeba coli (nicht zu verwechseln mit dem Colibakterium Escherichia coli) und Entamoeba dispar[5] sind harmlos.
Mit Ausnahme von Entamoeba gingivalis, die im Mund lebt, und Entamoeba moshkovskii, die häufig aus Fluss- und Seesedimentenisoliert wird, sind alle Entamoeba-Arten im Darm der Wirtstiere zu finden.
Entamoeba invadens ist eine Art, die bei Reptilien eine ähnliche Krankheit wie E. histolytica verursachen kann.
Im Gegensatz zu anderen Arten bildet E. invadensin vitro in Abwesenheit von Bakterien Zysten und wird als Modellsystem zur Untersuchung dieses Aspekts des Lebenszyklus verwendet.
Viele weitere Entamoeba-Arten sind bis heute beschrieben worden, und es ist wahrscheinlich, dass noch viele weitere Arten zu finden sind.
Der hier angegebenen Artenliste liegen folgende Quellen zugrunde (Stand 5. April 2022):
Die Entamoeba-Zellen sind klein, sie haben einen einzigen Zellkern und typischerweise ein einzelnes lappiges Pseudopodium (Scheinfüßchen), das die Form einer deutlichen vorderen Ausbuchtung hat. Sie haben einen einfachen Lebenszyklus. Der Trophozoit (die sich teilende Form) hat einen Durchmesser von etwa 10-20 μm und ernährt sich hauptsächlich von Bakterien.
Er teilt sich durch einfache binäre Spaltung und bildet zwei kleinere Tochterzellen.
Fast alle Arten bilden Zysten, ein Stadium, in dem die Übertragung möglich ist (mit Ausnahme bei E. gingivalis).
Die Zysten können je nach Art einen, vier oder acht Zellkerne besitzen und unterschiedlich groß sein; diese Merkmale helfen bei der Artbestimmung.[7]
Zystenbildung und Meiose
Unbefruchtete Trophozoiten verwandeln sich in Zysten in einem Enzystation (Zystenbildung) genannten Prozess.
Die Anzahl der Zellkerne in der Zyste variiert von Art zu Art zwischen 1 und 8 und ist eines der Merkmale, die zur Unterscheidung der Arten dienen können.
Entamoeba coli bildet beispielsweise Zysten mit 8 Kernen, E. invadens bildet mit üblicherweise 4, seltener 1–3 Kernen, andere Arten bilden in der Regel Zysten mit vier Kernen.
Da E. histolyticain vitro in Abwesenheit von Bakterien keine Zysten bildet, ist es nicht möglich, die Zystenbildung bei dieser Art in Reinkultur im Detail zu untersuchen.
Stattdessen wurde die Zystenbildung an dem Reptilienparasiten E. invadens untersucht, der eine sehr ähnliche Krankheit wie E. histolytica verursacht und in vitro zur Zystenbildung angeregt werden kann.
Bis ca. 2011 gab es keinen genetischen Transfektionsvektor für diesen Organismus, so dass eine detaillierte Untersuchung auf zellulärer Ebene nicht möglich war. Seitdem wurde jedoch ein Transfektionsvektor entwickelt und die Transfektionsbedingungen für E. invadens optimiert, was die Forschungsmöglichkeiten auf molekularer Ebene der Enzystation verbessert hat.[12][13]
Bei sich sexuell fortpflanzendenEukaryoten findet die homologe Rekombination (HR) normalerweise während der Meiose statt. Die meiose-spezifische Rekombinase Dmc1 ist für eine effiziente meiotische HR erforderlich. Dmc1 wird nachweislich in E. histolyticaexprimiert.[14]
Die gereinigte Dmc1 aus E. histolytica bildet vor der Synapsis[15] Filamente und katalysiert die ATP-abhängige homologe DNA-Paarung und DNA-Strangaustausch (Crossing-over) über mindestens mehrere tausend Basenpaare. Die DNA-Paarungs- und Strangaustauschreaktionen werden durch den eukaryotischen Meiose-spezifischen Rekombinations-Accessory-Faktor Hop2-Mnd1[16] (ein Heterodimer) verstärkt.[14]
Diese Prozesse sind von zentraler Bedeutung für die meiotische Rekombination, was darauf hindeutet, dass E. histolytica tatsächlich eine Meiose durchläuft.[14]
Studien an E. invadens ergaben, dass während der Umwandlung vom tetraploiden, ungeschlechtlichen Trophozoiten zur vierkernigen Zyste die homologe Rekombination verstärkt wird.
Die Expression von Genen mit Funktionen, die mit den wichtigsten Schritten der meiotischen Rekombination zusammenhängen, nahm während der Zystenbildung ebenfalls zu.[17]
Diese Ergebnisse bei E. invadens in Verbindung mit den Erkenntnissen aus Studien an E. histolytica deuten auf das grundsätzliche Vorkommen der Meiose bei Entamoeba hin.
Weblinks
The Entamoeba Homepage. London School Of Hygiene and Tropical Medicine. Memento im Webarchiv vom 17. Mai 2009.
↑Fedor Aleksandrevitch Lösch: Massenhafte Entwickelung von Amöben im Dickdarm. In: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Band65, Nr.2, 1. November 1875, S.196–211, doi:10.1007/bf02028799 (zenodo.org).
↑Oddo Casagrandi, Pietro Barbagallo: Ricerche biologiche e cliniche sull' Amoeba coli (Lösch). (Nota preliminare). In: Bollettino delle sedute della Accademia Gioenia di Scienze Naturali in Catania. Band39. C. Calàtola, 24. November 1895, S.4 (italienisch, google.de).
↑Jorge Tovar, Anke Fischer, C. Graham Clark: The mitosome, a novel organelle related to mitochondria in the amitochondrial parasite Entamoeba histolytica. In: Molecular Biology. Band32, Nr.5, Juni 1999, S.1013–1021, doi:10.1046/j.1365-2958.1999.01414.x, PMID 10361303. Epub 1. März 2002.
↑C. Rune Stensvold, Marianne Lebbad, C. Graham Clark: Last of the human protists: the phylogeny and genetic diversity of Iodamoeba. In: Molecular Biology and Evolution. Band29, Nr.1, Januar 2012, S.39–42, doi:10.1093/molbev/msr238, PMID 21940643 (lshtm.ac.uk [PDF]).
↑Louis S. Diamond, C. Graham Clark: A redescription of Entamoeba histolytica Schaudinn, 1903 (emended Walker, 1911) separating it from Entamoeba dispar Brumpt, 1925. In: Journal of Eukaryotic Microbiology. Band40, Nr.3, Mai 1993, S.340–344, doi:10.1111/j.1550-7408.1993.tb04926.x, PMID 8508172 (zenodo.org).
↑Nishant Singh, Sandeep Ojha, Alok Bhattachary, Sudha Bhattacharya: Establishment of a transient transfection system and expression of firefly luciferase in Entamoeba invadens. In: Molecular and Biochemical Parasitology. Band183, Nr.1, Mai 2012, S.90–93, doi:10.1016/j.molbiopara.2012.01.003, PMID 22321531 (sciencedirect.com).
↑Nishant Singh, Sandeep Ojha, Alok Bhattacharya, Sudha Bhattacharya: Stable transfection and continuous expression of heterologous genes in Entamoeba invadens. In: Molecular and Biochemical Parasitology. Band184, Nr.1, Juli 2012, S.9–12, doi:10.1016/j.molbiopara.2012.02.012, PMID 22426570 (sciencedirect.com).
↑ abcAndrew A. Kelso, Amanda F. Say, Deepti Sharma, LeAnna L. Ledford, Audrey Turchick, Christopher A. Saski, Ada V. King, Christopher C. Attaway, Lesly A. Temesvari, Michael G. Sehorn: Entamoeba histolytica Dmc1 Catalyzes Homologous DNA Pairing and Strand Exchange That Is Stimulated by Calcium and Hop2-Mnd1. In: PLOS ONE. Band10, Nr.9, 30. September 2015, S.e0139399, doi:10.1371/journal.pone.0139399, PMID 26422142, PMC 4589404 (freier Volltext), bibcode:2015PLoSO..1039399K (plos.org).
↑synapsis, Collins Dictionary. Hier die erste angegebene Bedeutung (Zytologie).